Ich nehme an, dass es den meisten so geht wie mir, falls sie den Virus nicht haben oder glauben, ihn nicht zu haben: Sie erleben Stunden und Minuten, vielleicht sogar Tage, an denen vieles fast normal scheint. Normal oder sogar schöner. Jedenfalls tun wir so.
Eine gute Freundin von mir war bei dem wunderbaren Wetter täglich draußen, viele Stunden lang, in der Natur, und ist gelaufen. Sogar mit einer Freundin und mit Sicherheitsabstand. Ich glaube, in der Natur fällt das Irreale der Situation nicht so ins Auge. Es gibt Gegenden, da begegnet einem so gut wie niemand unter der Woche. Eine andere Freundin lebt überwiegend auf dem Land und freut sich an Gartenarbeit, Stille und Alleinesein. Bis sie ihren Mann wieder trifft.
Anderen, wie mir selber, mag es manchmal schon schwerer fallen, das Positive an der Sachlage zu sehen. Das heißt, sehen können wir es schon, aber können wir es auch empfinden? Wir stoßen manchmal an unsere Grenzen. Ich sitze noch mehr als früher am Computer, weil ich mehr Onlineangebote wahrnehme. Ebenso nehme ich an einer Onlinefortbildung (einem Sesshin) teil: Das heißt, ich meditiere mit den anderen, die real in der Meditationshalle sitzen, und denen, die sich dazugeschaltet haben. Das habe ich einige Tage lang mitgemacht, in Maßen, sowie ich sogar an Gesprächen in Untergruppen teilgenommen habe. Das war reizvoll, verbindend, überraschend. Jedoch fehlte mir Bewegung, unbeschwertes Treffen mit Freundinnen, die Aussicht, meine Mutter bald wieder zu sehen. Das Aufwachen kann uns mit Dankbarkeit erfüllen, aber es kann auch ein trauriges, „böses“ Erwachen sein, weil unsere Seele noch nicht ganz hinterherkommt mit dem, was uns abverlangt wird.
Wie gehen wir mit den neuen Begrenzungen um, mit der großen Unsicherheit, die oft auch eine finanzielle ist? Mit der Angst, was mit der Mutter oder mit einem selber noch geschehen wird, falls man zu der Risikogruppe gehört? Richtig: Wir ziehen alle Register, wälzen die inneren Weisheitsbücher, sprechen das Mantra „Simplify your Life“ und freuen uns daran, doch schon einiges an innerer Arbeit gemacht zu haben. Dann plötzlich reicht es uns. Wieder alleine kochen und essen, und wie lange noch?
Im Zen sprechen wir vom Nichtwissen, das auch bei den Zen Peacemakern einen hohen Stellenwert hat. Über die Jahre der Beschäftigung mit dem, was nicht gewusst werden kann und unseren Reaktionen darauf ist es mir ans Herz gewachsen. Die Essenz scheint mir zu sein, dass wir, da alles in ständigem Wandel begriffen ist, im Eigentlichen stets im Nichtwissen sind. Das aber halten wir schlecht aus bzw. ist es so, dass wir eine gute Portion Wissen auch brauchen, um in diesem Leben bestehen zu können. Um unseren Geist flexibel zu halten und zu erkennen, was wann von Nutzen ist: Der Befreiung der Wesen nämlich dient, so üben wir, unseren Geist kennenzulernen, ihn zu zähmen. Seine Grenzen zu kennen.
Insofern befinden wir uns in einer Lage wie unter einem Vergrößerungsglas: Gezwungen werden wir, die Wirklichkeit von Altern, Krankheit, Sterben, Tod anzuerkennen sowie die Wirklichkeit des wechselseitig abhängigen Entstehens. Die Wirklichkeit der All-Verbundenheit und die Wirklichkeit der Barmherzigkeit, des Mitgefühls. Ebenso erfahren wir grenzenlose Weite, Frieden, völlige Akzeptanz, wenn wir dem Verstand den Platz geben, der ihm zusteht. Manchmal kann ich wirklich aufrichtig sagen: Was für eine interessante Situation, in der die Menschheit steckt.
Hoffentlich bleibt sie nicht stecken, sondern macht den Sprung: Ins geliebte Nichtwissen. Ein Quantensprung der Liebe.
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