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„Du bist einfach too much“, hörte ich kürzlich. Seitdem überlege ich, was denn an mir ‚zu viel‘ sein könnte.

Die 1,62 Meter können es nicht sein, und nur eine Heugabel könnte das daran hängende Gewicht als querschlank bezeichnen. Und weil Gehen auch die Gedanken in Bewegung versetzt, entschließe ich mich zu einem Spaziergang. Arbeite ich mich an mir von außen nach innen oder umgekehrt ab? „Don’t be so hard on yourself“, höre ich aus meinen Kopfhörern, strecke mein Kreuz durch und schüttle meinen Kopf. ‚Too long‘ könnten meine Haare sein, wenn es nach meiner Mutter und meinem Friseur geht. Obwohl sich der immer schwertut, sie zu schneiden, weil er inzwischen zu schätzen weiß, dass ich mit meinen weißen Strähnen eine wandelnde Litfaßsäule für ihn bin. Ich erzähle nämlich immer, dass er dafür verantwortlich ist, auch wenn der Vorgang ein ausschließlich natürlicher ist. Na ja, das Leben hat vielleicht nachgeholfen, aber auch das ist natürlich, oder? Immer wieder erfahre ich positive Rückmeldungen zu meinem Kopfbewuchs. Was könnte daran also ‚too‘ sein? Ich schaue meinem Schatten zu, wie er zu Jess Glynne durch die Kastanienallee schaukelt. Vielleicht ist mein Hüftschwung ‚too‘? Vor einem Jahr habe ich gehört, dass mein Gang nicht normal ist, und das von einem Mediziner.


zu viel

Er verdächtigte mich der Faulheit, weil seiner Erfahrung nach nur Menschen, die keine Hüftmuskulatur hätten, das Becken so rumschunkeln. Und forderte mich auf, meine Hüfte zu heben. Ich fragte: „Wie hätten Sie es denn gerne, nach vorne oder nach hinten?“, was seine Augenbrauen in die Höhe schießen ließ. Das Bauchtanzen hat eben seine Spuren hinterlassen, und ich verstehe schon, dass diese Art der Körperbetätigung nicht ganz Standard ist. Wenn allerdings ein steifes Becken Standard ist, dann bin ich gerne ‚too‘. Doch das alleine? Der Wind weht mir meinen Wickelrock auf die Seite. Ein ergrauter, vorbeifahrender Radler verdreht den Kopf deswegen. „In deinem Alter noch nie ein Frauenbein gesehen?“, denke ich mir und streiche den rosaroten Stoff zurecht. Dabei fällt mir meine Kusine ein, die sich heute noch bei der Erinnerung windet, dass ich sie einmal mit rosaroten Söckchen von der Schule abgeholt habe. Sie findet meinen Kleidungsstil – sagen wir es mal freundlich – bemerkenswert, doch sie ist eben halb so jung wie ich. Rechnerisch nicht ganz, aber fast. Wie auch immer. Kürzlich war ich bei einem Vortrag über Angst und Globalisierung. Der Grundtenor gehörte den ‚Flüchtlingen‘, doch die Referentin drückte etwas aus, was wahrhaftig war. Sie meinte, dass internationale Ketten, die mit Essen oder Bekleidung handeln, mehr zum Verlust der eigenen Kultur beitragen als Menschen, die mit einer anderen Religion zu uns kämen. Weshalb also sollte ich mich anziehen wie alle anderen, egal, woher sie kommen? Wenn es schon ‚too much‘ ist, dass ich nicht in Beige, nicht mit einem Kettchenanhänger in der Supraclaviculargrube am unteren Ende meines Halses und nicht mit Gesundheitsschuhen durch die Gegend hatsche, dann soll es so sein. „Let’s go back to simplicity“, höre ich und lande somit bei der für meine Begriffe absolut einfach gestrickten Gedankenwelt. Nicht wenige würden jetzt darüber herzhaft lachen, doch ich finde mich ohne Scherz ziemlich simpel. Ich mag Menschen, die denken UND fühlen können. Ich glaube an Eigenverantwortlichkeit. Ich schenke Vertrauen, bevor es gerechtfertigt wurde. Ich bin überzeugt, dass diese Welt mehr Freundlichkeit und Liebe vertragen kann. Und trage mein Möglichstes dazu bei. Und da höre ich meine Freundin schon murmeln, dass ich der Sache näherkomme, die sie mit ‚too much‘ gemeint hat. Sie sagt immer, dass ich intellektuell sei. Nicht dass ich dazu nicht eine diametral entgegengesetzte Meinung hätte, doch ist man das schon, wenn man sich entschließt, für seinen Körper zu essen und nicht nur für den Gaumen? Lieber tanzt als fernsieht? Mehr zuhören mag als reden? Meine Mutter sagt, dass ich gut darin bin, rasche Entscheidungen zu treffen. Sie sieht mich nur selten, wenn ich Gruben in meinen Wohnzimmerboden schleife, weil ich etwas nicht loslassen kann. Der Boden würde in solchen Situationen bestimmt auch gerne „Too much“ schreien, und irgendwann, knapp vor dem Durchbruch in den Keller, erhöre ich ihn dann auch. Wenn allerdings mein Bauch klare Botschaften absendet und das Gefühl stimmt, kann ich richtig schnell sein. Ist diese Geschwindigkeit vielleicht ‚too much‘ für manche Menschen, die mit mir zu tun haben? Eventuell. Doch das ist nicht mein Problem. Und deshalb werde ich weiterhin versuchen, die beste Version von mir selbst zu sein, die möglich ist. Wem das ‚too much‘ ist, soll es lassen. „I learned to wave goodbye, how not to see my life through someone else’s eyes“, singt Jess Glynne, und entspannt öffne ich mein Hoftor.

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Claudia Dabringer

Claudia Dabringer

Studium der Germanistik und Publizistik in Salzburg mit allem, was zu einer Studentenzeit dazugehört. Mehrjährige Konzentration aufs Radiomachen, bis alles durchexerziert war und das Schreiben wieder im Kopf präsent wurde. Seitdem freie Journalistin und als Fachtrainerin & Schreibpädagogin...
Kommentare  
# Margarete 2018-09-27 18:30
Ach, es ist doch immer schwer es anderen recht zu machen. Würden wir es allen anderen recht machen, würden wir uns selbst in einem ewigen Kampf verirren...
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# magclaudiadabringer 2018-09-28 16:34
wie recht sie haben, liebe margarete! auf den inneren roten faden kommt es an...
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