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Über ein Jahr ist es nun her, dass eine liebe Freundin von mir die Rede zu ihrem 50. Geburtstag mit den Worten krönte: „Ich muss gar nix.“ Was für ein Statement, dachte ich mir damals. Was für eine Kraft in ihren Worten. Doch vor allem, wenn einem die Kraft ausgeht, sollte man sich genau das sagen, finde ich.


Weit ist es mit mir inzwischen nicht mehr her, musste ich kürzlich feststellen. Wild entschlossen, mich zu entspannen, saß ich an meinem Teich und merkte plötzlich, dass ich mich selbst beim lockeren Ablegen meines Armes auf einer entsprechenden Lehne verkrampft habe. Und selbst wiederholte Achtsamkeitsübungen haben mich nicht davon abgehalten, das zu wiederholen.
In einem Einkaufszentrum in meiner Nähe schreien einem momentan die „SALE“-Plakate entgegen, und nicht nur dort. Jetzt bin ich ja bekennende Schnäppchenjägerin, und Zeiten wie die aktuellen sind eine schwere Prüfung für mich. Und meinen Geldbeutel. Denn selbst wenn ich schon innere Barrieren eingebaut habe, kann ich an den hängenden Wühltischen nur unter Aufwendung größter Kraftreserven vorbei. Eine davon ist, dass ich mir die neuen Kollektionen anschaue und mir jedes Mal vornehme, mir zu merken, wenn nichts für mich dabei ist. Doch das Kurzzeitgedächtnis ist ein Hund, und mein Vorsatz fällt mir erst dann wieder ein, wenn ich schon vier Bügel in der Hand habe und der Probierkabine zustrebe. Habe ich Glück, ist das Licht dort derartig grauenhaft, dass ich mich selbst im sexiest Outfit ever nicht anschauen kann. Habe ich Pech, steuere ich der Kasse zu. Und das obwohl mein Kleiderschrank aus allen Nähten platzt.
Bekanntlich bin ich ja Journalistin, und ein Merkmal dieser Spezies Mensch ist, dass sie neugierig ist. Also gerne lernen möchte, wie ich es formuliere. Andere würden das anders definieren, aber das sind eben die anderen. Wurscht. Und da ich weiß, dass informelles Lernen mindestens ebenso wirksam ist wie das formalisierte, mag ich gerne überall dort sein, wo ich mein Wissen erweitern kann. Neue Magazine kennenlernen, Vorträge besuchen, ins Konzert oder Kino gehen – solche Sachen eben. Während andere Menschen sich beklagen, dass ihnen langweilig ist oder wahlweise in sinnlose Alibi-Arbeiten verfallen, um die Zeit tot zu schlagen, feiere ich inzwischen jede halbe Stunde, in der ich nirgendwo bin. Weil mein Kopf nämlich langsam übergeht.

Ich muss gar nix
Als nun vor einigen Tagen ein Bekannter mich anschrieb und mich fragte, ob er „Schatzi“ zu mir sagen dürfe, ist mir der innerliche Kragen geplatzt. Dass er mich danach auch noch zum verbalen Schweinigeln eingeladen hat, machte die Implosion nur noch feuriger. „Muss ich das?“ fragte mein inneres Mauerblümchen, und die innere Göttin schrie zurück: „Du musst GAR NICHTS!“ Und weil ich hin und wieder in Extreme verfalle, fielen mir gleich Tausend andere Dinge ein, die ich nicht muss. Meine Zeit bis zum Anschlag vollpacken zum Beispiel. Oder mich mit roten „SALE“-Plakaten konfrontieren. Jemandem erlauben, mich „Schatzi“ oder sonst wie zu nennen. Aus einer Wut wie dieser heraus haben sich schon einige Dinge in meinem Leben zum Besseren gewandt, und diesen Impuls spüre ich gerade wieder. Und auch wenn ich weiß, dass es weitere Achtsamkeit benötigen wird, genau diese Dinge im Blick zu behalten und „NEIN“ zu sagen – irgendwann werden mein Bauch und ich verschmelzen. Und darauf freue ich mich schon. Denn dann werden die Erlebnisse, Begegnungen und Erfahrungen in meinem Leben wieder einen besonderen Charakter bekommen und zu wundervollen Erinnerungen werden. Mit einem vollgepackten Terminkalender ist das schwer möglich. Also habe ich beschlossen: Ich minimalisiere jetzt. Und freue mich auf die Lücken, die sich auftun.

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Claudia Dabringer

Claudia Dabringer

Studium der Germanistik und Publizistik in Salzburg mit allem, was zu einer Studentenzeit dazugehört. Mehrjährige Konzentration aufs Radiomachen, bis alles durchexerziert war und das Schreiben wieder im Kopf präsent wurde. Seitdem freie Journalistin und als Fachtrainerin & Schreibpädagogin...
Kommentare  
# Manuel P. 2018-07-18 20:18
Ich versuche so gut es geht meinen Kindern beizubringen, ihren eigenen Willen zu haben, und für sich selber zu entscheiden was sie tun MÜSSEN und was nicht. Manchmal geht das aber ganz schön nach hinten los ;)
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# magclaudiadabringer 2018-07-20 16:09
kinder sind doch immer wieder buchstaeblich wunderbar, nicht? und sie helfen einem, herauszufinden, dass es immer noch eine weitere moeglichkeit gibt, an die man als erwachsener nicht gedacht hat. ich LIEBE kinder als lehrer! vielen dank, dass sie ihre erfahrungen teilen
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