Seit 78 Tagen arbeite ich mich durch den „Kurs in Wundern“, und es ist eine Herausforderung. Stellt alles auf den Kopf, und der meine zermartert sich selbst über den einfachsten Mantras. Gestern nicht, da hieß es „Ich habe ein Anrecht auf Wunder.“ Hurra, dachte ich, doch dann entwickelte sich alles ganz anders.
Das letzte Wunder, das mir einfiel, hielt leider nicht, was es so hoffnungsvoll versprochen hatte. Da trifft man jemanden, der einem prophezeit wurde von zweifacher Stelle, und glaubt sich am Ende seiner Wünsche, von denen man gar nicht wusste, dass man sie hat. Weil die Realität wie die Faust aufs Auge der Vorhersage passt. Weil man nicht nur am Ende seiner Wünsche, sondern auch am Ende seines Zweifels, dass es doch noch Menschen mit Herzensbildung geben könnte, angelangt scheint. Weil es sich gut und richtig anfühlt. Und am Ende doch dasteht, innerlich und äußerlich völlig unterkühlt, krank und kopfschüttelnd, weil es Umstände gibt, gegen die man einfach nichts machen kann. Oder will, weil man endlich alt genug ist, um zu begreifen, dass manche Menschen sich selbst aus dem Sumpf ziehen müssen.
Meine Begeisterung über ein Wunder, das mir also zustünde, hat sich ebenfalls relativ schnell abgekühlt und ist in eine kleine Depression geschlittert. Wenn es Herzschmerz wie der der letzten Wochen ist, der mir zusteht – nein danke! Doch weil ich ein sturer Stier bin, habe ich trotzdem bei jedem kleinen Grollanfall mit zusammen gebissenen Zähnen vor mich hin gemurmelt: „Ich habe ein Anrecht auf Wunder.“ Recht überzeugt, dass das Universum eine eindeutige Botschaft von mir empfangen würde, war ich nicht. Es war ein Tag des Haderns, wie Sie sich vorstellen können. Und ich war froh, dass es irgendwann Zeit war, aus dem Haus zu gehen, um mich mit einer lieben Freundin zu treffen, die zu einem Workshop angereist war.
Wir haben gemeinsam eine zweijährige Schreibausbildung gemacht, viele Stunden redend, lachend und essend verbracht. Unsere Hoffnungen und Pläne geteilt, gegenseitig unsere Texte lektoriert und Anregungen angebracht, wo sie nötig und wichtig waren. Wie ich lebt sie durch die Sprache als Ausdrucksmittel ihres ganz persönlichen Ichs. Ich machte mir auf dem Weg zu ihr Gedanken, zu welchem Inder wir gehen könnten, um uns zu nähren, während sich unsere Leben für kurze, aber intensive Zeit verbinden würden. Als ich eintraf, war es kurz vor der vereinbarten Zeit, und ich vertrieb mir das Warten mit Rauchen. Eine Zigarette würde sich schon noch ausgehen, eine Mitteilung, dass ich da wäre, hatte ich ihr schon geschickt für den Zeitpunkt, wo der Workshop zu Ende sein würde. Ich beantwortete noch ein, zwei Nachrichten und setzte mich dann zu einem Cappuccino, weil mir kalt wurde. Inzwischen waren zwanzig Minuten verstrichen, und ich wunderte mich über meine sonst so pünktliche Freundin. Also rief ich an.
Ihr Mann hob ab und berichtete, dass seine Frau einen Schlaganfall erlitten hatte. Vor drei Tagen. Dass das Sprachzentrum betroffen wäre. Dass sie es fast nicht geschafft hätte. Ich brachte das alles nicht mit dieser wunderbaren, aufgeräumten, gesundheitsbewussten Frau in Zusammenhang, auf die ich wartete. Noch immer, weil ich es einfach nicht glauben konnte, dass sie nicht kommen würde. Lange nicht. Ich ließ mir erzählen, wie alles abgelaufen war, was getan wurde und wie es ihren beiden Männern zuhause erging mit der Abwesenheit der Frau und Mutter. Ich kam nicht darüber hinweg, tue es immer noch nicht.
Irgendwann fuhr ich nach Hause, um zu lesen, dass an anderer Stelle ein naher Verwandter einer Freundin an Leukämie gestorben wäre. Ebenfalls an diesem Tag. Und ich begann wieder zu hadern, denn welche Art von Wunder soll denn das sein, wenn solche Dinge passieren? Doch dann ging der Knopf auf. Das Wunder, das dieser Tag zeigen wollte, war, dass wir Menschen in unserem Leben haben, denen wir unser Mitgefühl schenken und für die wir leben können, wenn sie es selbst nicht mehr oder gerade schwer können. Dass wir die Augen aufmachen und das wertschätzen können, ja müssen, was wir haben und sind. Dass wir unsere Gedanken mit guter Energie aufladen sollen, um sie denen zu schicken, die es brauchen für die Kämpfe, die sie auszufechten haben. Später an diesem Tag treffe ich mich mit einer anderen Freundin. Wir wählen ein Lokal, dessen Name der letzten Zeile eines Horaz-Gedichtes gewidmet ist und nutzen den Rest dieses Tages für Lachen, Reden und Trinken. Ich hoffe, die gute Energie hat das Krankenbett meiner Freundin erreicht.