Kunst kann im Leben eines Menschen der Ausdruck von Spiritualität sein. Auch in unserem Leben. Nur ist vielen gar nicht bewusst, dass sie eine künstlerische Ader besitzen, oder sie wissen es, aber fürchten die Konsequenzen, wenn sie sich stärker dem Eigentlichen widmen würden. Wieder andere möchten ihre Kunstwerke keinesfalls in Zusammenhang mit Spiritualität oder gar Religion gesehen wissen.
Ich selber hatte auch keine Ahnung, dass mein früher Hang zum Lesen und später zum Schreiben, welcher jedoch in verschiedener Weise unterdrückt und zensiert wurde, Ausdruck einer kontemplativen Begabung und Notwendigkeit gewesen ist. Letztlich wurden Lesen und eigentlich auch Schreiben von Mutter und Vater als derartig unproduktiv und unnütz angesehen, dass ich die beiden hochproduktiven Tätigkeiten selbst als anrüchig empfand und im Verborgenen ausübte. Mich offen zu diesen Leidenschaften zu bekennen hat mich mehrere Jahrzehnte zähen Übens gekostet.
Dank einer ausgezeichneten grundlegenden Therapie in meinen Dreißigern konnte ich ansatzweise meine verlorene Schreibstimme wiederfinden und zum Ausdruck bringen. Wie ausdrucksstark war sie, wie vielfältig! Jedoch, bevor ich lautstark werden konnte, wollte sich so viel Scheues, Trauriges, Ängstliches melden, aber auch Zartes, Ahnungsvolles, Intimes. Alles war ja schon da, jedoch hatte sich die Stimme sehr weit zurückgezogen und die unterdrückte, misshandelte Kinderseele eines typischen deutschen Nachkriegskindes meldet sich als Erstes.
Die war nämlich überhaupt nicht gehört worden.
Nachdem ich Flüsse voller Tränen geweint und aufs Papier ‚geweint‘ hatte, dann das noch jüngere Kind seine wütende, verzweifelte und hocheinsame Stimme fand, bis sogar das Baby, das man hungrig schreien und resignieren ließ, auf das Papier schrie – erst dann konnte ich sicher sein, dass meine Stimme mir gehörte, völlig eins war mit den Zellen meines Körpers und eins mit meinen innersten Werten.
Das hieß nicht, dass ich nicht schon vorher einzelne Gedichte, kurze Essays und kohärente Konzepte habe entwickeln können. Ich schrieb ja eigentlich immer – als Gründerin einer Schreibschule und eines sich für zwei Jahrzehnte und mehr ausweitenden Seminarangebotes.
Doch kann ich erst seit circa zehn Jahren sagen, vor allem vor mir selber im Spiegel, dass ich meiner Stimme sicher bin, was ja ein erstaunliches Maß an Selbstvertrauen voraussetzt, und dass ich zweitens fast immer schreiben kann, auch für eine Öffentlichkeit, wenn die Gegebenheiten dazu einladen. Mit der gebotenen Demut vor unserer Vergänglichkeit natürlich.
So stark wirkt Zensur. So stark wirkt eine frühe Begabung. Und so stark ist es mit der Spiritualität! Denn ich habe nicht nur überlebt mit Lesen und später mit Schreiben. Gute Texte, ehrlich gemeinte Worte, tief empfundene Gedichte und Gebete habe mich erreichen können – immer! Sie haben mich emporgehoben, mir das gezeigt, wohin buddhistische und andere ernsthafte spirituelle Praxis uns führen möchte: In die unbegrenzte Weite jeden Meeres, des Universums. In den Raum der Potenzialität, zum Ungeborenen und geheimnisvoll Göttlichen. Ja, zu Gott.
Prajnaparamita, die weibliche Weisheit, immer vorhanden in der Stille.
Was für ein Geheimnis!