Vor mehr als einem Jahrzehnt hatte mich ein Mensch zutiefst berührt und bewegt: Es war Marshall Rosenberg, der Begründer der Gewaltfreien Kommunikation.
Ich sah mir das erste von vier Videos an, in denen er mit einer Gruppe in Deutschland zu sehen war: wie er sich selber gab, dabei anleitete, Menschen berührte, Altes lösen, Neues sehen und formulieren half.
In einem dieser Videos sprach Marshall über seine Erziehung, die primäre und die zum Psychotherapeuten, und wie er immer unzufriedener wurde mit den grundlegenden Annahmen darüber, wie Menschen zu erziehen seien, wie man mit ihnen reden müsse, wie man sich selber und andere zum Besseren entwickeln (helfen) könne. Die Kategorien ‚Richtig‘ und ‚Falsch‘, ‚Loben‘ und ‚Tadeln‘, ‚Belohnen‘ und ‚Bestrafen‘, ‚Schuld‘ und ‚Sünde‘ stellte er infrage und vieles mehr. Wie er selber seine Kinder erzog, begann ihm fragwürdig zu erscheinen. Sein Beruf schien auf Prämissen aufgebaut, die Menschen verkleinern, wenn Diagnosen gebraucht werden, und zu einer grundlegenden Trennung führen.
Marshall hingegen entdeckte und verfeinerte eine Sprache der Verbindung, der Verbundenheit. Selbst bei großer Entfremdung zwischen zweien legt er in dem bekannten Modell von den vier Schritten nahe, dass der vierte Schritt immer der Verbindung zu dienen habe. Man fragt nämlich den anderen, wie es ihm oder ihr jetzt ginge, oder bittet um etwas, ehrlich und direkt. Etwas Erfüllbares. Wie schwer war mir das anfangs, als ich begann zu üben und zu trainieren, meinen Stolz und meinen Ärger zu überwinden und in überheizter Stimmung mein Gegenüber um etwas zu bitten! Erst nach und nach enthüllte sich mir der unbestreitbare Gewinn, nicht nur dieser Disziplin.
Eine andere Disziplin, die für Marshall wegweisend war und immer mehr wurde, ist die Freude. So wie er nicht mehr ohne Empathie durchs Leben gehen wollte, anderen Einfühlung zu geben und um Einfühlung zu bitten für sich selber, so sollte ihm das Erleben von Freude als Merkmal dafür dienen, dass er sich – noch – auf dem richtigen Weg befand.
Damals schon entdeckte ich, wie ähnlich wir empfanden. Er sah einen unüberbrückbaren Gegensatz zwischen Pflichterfüllung und Freude am Tun. Ich auch. Deshalb habe ich meinen Beruf mit viel Inspiration, harter Arbeit, Mut und der Hilfe zahlreicher Wesen noch einmal geändert: Ich sehnte mich nach einer Berufung, wurde Poesiepädagogin, Schreibtherapeutin und gründete eine Schreibschule. Diese Arbeit war grundlegend mit Freude verbunden, weil sie mir so viele Bedürfnisse gleichzeitig befriedigte: nach Echtheit, Beitragen-Können, Nähe, Heilung, Feiern, Stille, Lernen, Entwicklung, Wahrheit und noch mehr.
War ich im Pflicht-Modus diente ich irgendjemandem anders, nicht meiner Freude, nicht den wahren Bedürfnissen. Dann wollte ich jemandem gefallen, handelte aus Angst, vielleicht nicht genügend Geld zu verdienen, aus Gewohnheit, Bequemlichkeit und machte mir nicht die Mühe, wirklich hinzuhören auf den wahren Ruf, dem ich folgen wollte.
Freude: Eine spirituelle Qualität. Emporhebend – Leichtigkeit, Beschwingtheit, Helligkeit, Allverbundenheit, Vertrauen, ja: Liebe manifestierend.
Nicht mit Vergnügen oder Spaß zu verwechseln.
Vielmehr ein Pfad, der Hingabe und Furchtlosigkeit verlangt.