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Neulich im Bus. Ich hatte meine Kopfhörer vergessen und kam damit in den Genuss, einem Gespräch von drei Frauen in fortgeschrittenem Alter zu lauschen. Ja, manch einer sagt, dass ich auch schon in diese Kategorie falle, doch wenigstens weiß ich, dass ich stehe.

Die Damen unterhielten sich offensichtlich über eine gemeinsame Bekannte, die natürlich nicht anwesend war. Ist ja jetzt nichts Außergewöhnliches – es soll ja Menschen geben, die ihr ganzes Leben lang nichts anderes tun, als sich über andere die mittige Öffnung im Gesicht zu zerreißen. Ich halte das für Zeitverschwendung, denn vor der eigenen Haustüre zu kehren hat vor allem den Vorteil, dass der Vorgarten sauber ist. Aber wurscht.

Auf jeden Fall besprachen die Frauen das Faible der Bekannten, in jeder Jahreszeit die Wohnung entsprechend zu dekorieren. Abgesehen davon, dass sie die Abstaubmühen betonten, kam irgendwann die Aussage: „Na ja, sie hat ja Zeit, sie ist ja alleinstehend.“ Mit diesem leicht mitleidigen, leicht wässrigen Timbre in der Stimme, die nichts mit Sanftheit, sondern eher mit Herablassung zu tun hat. In diesem Moment beschloss ich, nicht nur einen Zettel mit ‚Katze?‘ an die Innenseite der Haustüre zu kleben, sondern auch einen mit ‚Kopfhörer?‘ Denn solchen Bewertungen eines Individuums ausgesetzt zu sein raubt mir das Seelenheil.

Ein Mensch, der in einer Beziehung lebt, hätte das Wort ‚alleinstehend‘ vielleicht abgenickt und weiter auf den Fluss, wahlweise die Stadtberge geschaut. Ich hätte das auch tun können, doch ich musste darüber nachdenken, was denn an ‚alleinstehend‘ so schlimm sein könnte. Ja, ich bin alleinstehend – war es immer. Denn was bedeutet es denn wirklich, ohne konventionellen Hintergrund? Dass man/frau keine Krücke, keinen Rollator, keinen Rollstuhl braucht. Dass man eben alleine auch zurechtkommt. Ohne dass ein Mann die Glühbirne reinschraubt, die Wasserschüssel ausleert oder die Alufolie reicht. Mir blieb im Grunde oft nichts anderes übrig, als alleine zu stehen, denn meine hervorstechendste zwischenmenschliche Fähigkeit neben dem Zuhören ist, mir sehr häufig Männer mit besonderen Bedürfnissen auszusuchen. Ihre Vorstellung von meinen Bedürfnissen war eher eindimensional, nur damit ich das erwähne und nicht den Eindruck vermittle, ihnen wäre ALLES wurscht gewesen.

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Wenn man also mit besonderen Bedürfnissen konfrontiert ist, kann das eine Herausforderung sein. Vor allem, wenn man alleine stehen will. Denn irgendwo zerrt immer jemand, braucht immer jemand etwas, will immer irgendwer von seiner Einsamkeit, wahlweise Langeweile, wahlweise Überforderung befreit werden. Ich kann das ziemlich gut, oder sollte ich sagen ‚konnte‘? Denn unter uns Pfarrerskindern gesprochen, möchte ich immer öfter „STOPP!“ rufen. Oder mich unter einer Käseglocke verstecken. Oder meine Ohren abschrauben. Denn auch wenn ich nach wie vor auf gewisse Tonfälle, Worte oder Blicke automatisiert reagiere, weiß ich doch, dass vieles davon not my cup of tea ist. Weil ich dann nämlich in absehbarer Distanz – und die tut sich immer schneller auf – in ein Energieloch falle, das mir jegliche Widerstandskraft gegen Bedürftigkeitsansprüche raubt. Da überrollen mich alle Probleme dieser Welt – na ja, zumindest die der Menschen MEINER Welt – und ich brauche viele Stunden, um mich wieder zu regenerieren. Alleinstehend zu sein ist da nicht viel mehr als eine fromme Sehnsucht.

Aus diesem Grund habe ich mir vor einiger Zeit in meinen Kalender Stunden für Zwischenmenschliches eingetragen, ganz einfach, um mich zu disziplinieren. Das den anderen zu überlassen hat sich im Laufe meines Lebens als sinnlos erwiesen. Also gibt es an jedem Tag drei Fenster für das, was an Herausforderndem, Problematischem, Lösungswilligem in mein Leben drängt. Und es gibt zwei ‚Termine‘, zu denen ich in der Versenkung verschwinde und mich einfach tot stelle. Weil es sein muss, weil ich nicht (mehr) anders kann. Einzuhalten ist das natürlich nicht immer, doch es klappt immer öfter. Diese Woche nicht wegen Besuchsprogramm, Kurztrip und Arbeit. Und die nächste Woche ist auch schon wieder einigermaßen gut gebucht. Aber in der übernächsten – da klappt es bestimmt! Sie sehen, ich bin urlaubsreif, weil widerstandslos, doch von diesem Baum falle ich erst wieder im Dezember. Dann aber gründlich. Und hoffentlich weich. Denn mit gebrochenen Beinen kann man nicht alleine stehen. Und reisen erst recht nicht.

Claudia Dabringer

Claudia Dabringer

Studium der Germanistik und Publizistik in Salzburg mit allem, was zu einer Studentenzeit dazugehört. Mehrjährige Konzentration aufs Radiomachen, bis alles durchexerziert war und das Schreiben wieder im Kopf präsent wurde. Seitdem freie Journalistin und als Fachtrainerin & Schreibpädagogin...
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