Mit meinem 51. Geburtstag hat sich ein Kreis geschlossen, vielleicht auch mehrere. Und wie so oft, hat mich dabei der Orient mit seiner Gastfreundschaft, den zurechtrückenden Prioritäten und der Gelassenheit unterstützt. Natürlich habe ich wieder so ein Land erwischt, in das manche Frauen offenbar eindeutig ausgerichtet reisen. Mein Ziel war ein anderes.
Hängt es mit den Ts zusammen, dass Frauen mit besonderen Bedürfnissen vorrangig in solche Länder fahren? Ich müsste recherchieren, wie es um diese Tourismussparte in Tasmanien, Taiwan oder Tibet bestellt ist – diesbezügliche Kenntnisse über die Türkei und Turkmenistan habe ich, aber die fallen (aktuell) als Destination flach. Nichtsdestotrotz: nach meiner unrunden Erfahrung mit Tansania bin ich jetzt nach Tunesien gereist: zur Entspannung.
Offenbar hatte ich mich am richtigen Ort zur richtigen Zeit eingemietet, denn in meinem Hotel gab es noch weitere vier Frauen, die alleine dort Urlaub gemacht haben. Die Mär, dass eine Frau im Orient verloren wäre, scheint sich also langsam zu überholen. Gut so! Allerdings muss man sagen, dass es schon sehr eigenwillige Frauen sind, die das in Angriff nehmen. Zum Beispiel die russische Frau, nennen wir sie Ninotschka. Sie fällt in die Klischee-Kategorie, weil sie sich sehr schnell mit dem Koch auf ein Packerl gehaut hat. Doch mit welcher Würde sie dazu gestanden ist, war beeindruckend. Oder Gertrude, eine blonde Elfe aus Stuttgart. Um acht Uhr stand sie vom Frühstückstisch auf, warf den Rucksack auf den Rücken und sich selbst in einen der voll besetzten Busse, um die Region um das Cap Bon zu erkunden. Und das mit einer strahlenden Zielstrebigkeit, die selbst mir in meiner orientalischen Illuminiertheit aufgefallen ist. Sehr eigenwillig war auch eine andere Frau, nennen wir sie Monika. Der Himmel weiß, warum sie sich dieses Land, diesen Ort, dieses Hotel ausgesucht hatte. Ich glaube, sie wusste es selbst nicht. Kein Wort mit irgendjemandem, ein Gesicht bis zu den Knien, die Ausstrahlung wie das Wetter nach Ostern. Wenn man alleine reist, beobachtet man viel – sie zu beobachten hat mich etwas deprimiert. Gerade weil ich mein Glück eine Woche lang so vor mir hergetragen habe, dass ich mir gar nicht vorstellen konnte, dass es anderen anders geht. Zweimal versuchte sie, bei mir anzudocken, indem sie sich einfach in den Sessel neben mir fallen ließ. Ohne zu fragen, ohne ein nettes, freundliches Wort. War ich anfangs noch gespannt, ob sie irgendwann einmal ihre Manieren auspackt, habe ich es danach beim ‚Hallo‘ im Vorbeigehen belassen. Man hat schließlich die Wahl, mit wem man seine Zeit verbringt – auch und vor allem im Urlaub.
Und da war dann noch meine Lieblingsfrau, mit der ich leider erst am letzten Abend ins Gespräch kam. Sie macht Musik, und in ihrer Biografie steht, dass sie eine Mischung aus Patti Smith und Pippi Langstrumpf ist – genau my cup of coffee. Ein Prachtexemplar der Kategorie ‚Wild Womanhood‘, schön, inspirierend, klug. Und sie gab mir eine Aufgabe, nämlich mir zu überlegen, welche fünf Dinge in meinem Leben unabdingbar sind für mein Glück. Sie meinte, ich hätte so eine Liste bestimmt, doch da musste ich sie enttäuschen. Und trotzdem habe ich darüber nachgedacht.
Ihre Erfahrung hatte gezeigt, dass viele Menschen darauf mit ‚Liebe‘, ‚Freundschaft‘ oder ‚Urlaub‘ antworten. Doch ihre Intention ist und war es, etwas zu finden, das man ohne die Unterstützung anderer beglückend findet. Ihre Big Five waren englischer Tee, ein Fahrrad, ein Strand, ein Bikini und ein Buch. Zwei davon hatten wir gemeinsam, ein Getränk war auch bei mir dabei plus Musik und Zigaretten. Und irgendwie fand und finde ich diese Erkenntnis unglaublich befreiend. Denn wenn man sein Heil stets von anderen Menschen abhängig macht, kommt man immer wieder von seinem eigenen Weg ab oder findet ihn erst gar nicht. Ich kenne das nur zu gut, weil zu lange praktiziert.
Insofern hat sich in Tunesien ein Kreis für mich geschlossen. Die Begegnungen mit den Menschen dort waren bereichernd und intensiv, und sie haben mich zu mir selbst zurückgeführt. Weil sie nicht an mir gezerrt, mich nicht in eine Schublade gelegt, wahlweise aus einer entfernt haben. Weil sie zwar meine offensichtliche Fremdheit gesehen, aber auch durch sie hindurch in mein Herz geschaut haben. Wenn man wie viele Menschen dort 200 Euro im Monat verdient, könnte man seine Existenz bejammern. Oder man holt das Glück aus jeder Gelegenheit, die sich bietet. Durch eine Geschichte. Durch eine Umarmung. Durch eine geschenkte Schachtel Zigaretten. Durch einen liebevollen Blick. Durch ein Lachen. Und was sind Deine Big Five?