Kürzlich an einer roten Ampel. Es ist ein lauer Spätnachmittag und über den Zebrastreifen bummeln zwei lächelnde Männer, die ich in die Schublade ‚Flüchtlinge/Geflüchtete‘ lege. Wie schön, denke ich mir, dass ich sie zufrieden sehe. Denn in letzter Zeit hat mich das Thema aus verschiedenen Richtungen wieder angepikst.
Gleich vorneweg: Durch meine mehrmonatige Tätigkeit als ehrenamtliche Sprachtrainerin für Menschen aus Afghanistan, dem Irak und Syrien habe ich tiefes Mitgefühl und Respekt für sie, die eine meist unglaubliche Odyssee auf dem Weg in den Nordwesten hinter sich haben. Sie sind oft durch die Vorgänge in ihrer Heimat und/oder durch die Flucht traumatisiert. Sie kamen voller Zuversicht zu uns und hofften, hier etwas mehr aus ihrem Leben machen zu können. Auch, um den Daheimgebliebenen von Nutzen sein zu können. Anfangs waren sie im Sprachtraining noch vielfach heiter, wenn auch ebenso oft unvorbereitet – doch hey, das Leben ist ernst genug. Inzwischen hat sich die Gruppe zerstreut, das Lächeln auch. Und das liegt nicht nur daran, dass sich die Freunde in die verschiedensten Richtungen aufgemacht haben, den besten Ort für ein Asyl-Interview zu finden. Das Warten darauf zermürbt sie, und die Energien laufen manchmal in Kanäle, die zu den weniger wertschätzenden gehören.
Und genau dann fühlen sich all jene bestätigt, die ‚es immer schon gewusst haben‘. In einem Gespräch am Wochenende finde ich mich wieder in einem Verteidigungsgespräch. Ich höre, dass man den Männern ankreidet, dass sie gut angezogen und mit 1.000 Dollar in der Tasche am Bahnhof angekommen seien. Ganz klar – ‚Wirtschaftsflüchtlinge‘. Ich merke an, dass wir uns ja auch einigermaßen kleiden und mit Geld ausstatten, wenn wir verreisen. Eine Sprachtrainer-Freundin sagt später, dass die Männer ja bei ihrer unmittelbaren Ankunft in Österreich eingekleidet worden seien – kein Wunder also, dass sie nicht ganz zerrissen aus dem hiesigen Zug gestiegen sind. 50 Tonnen Kleidung hätten steuerpflichtig entsorgt werden müssen, weil ‚die‘ sie nicht wollten. Und überhaupt sind sie ja nur auf unser Geld, unseren Wohlstand aus und am Mitnaschen interessiert.
Was sie wirklich wollen (könnten), wird mir klar, als ich erfahre, dass einer unserer ehemaligen Schüler darauf besteht, zu meiner Kolleginnen-Freundin ‚Mama‘ zu sagen. Sein genaues Alter weiß ich nicht, viele Flüchtlinge bekommen ja ein neues Geburtsdatum auf ihrem Weg in die Fremde oder dort. Erwachsen ist er auf jeden Fall, doch auch ohne Kontakt zu seiner Mutter, die er im Alter von zehn Jahren verlassen musste. Hier in Österreich hat er ein Zimmer, eine Lehrstelle, geht ins Fitnessstudio und besucht einen B1-Deutschkurs. Er könnte vorerst zufrieden sein, doch er will Zuwendung. Unterstützung. Geborgenheit. Meine Freundin ist bis zwei Meter über dem Kopf mit Arbeit, Familie und Ausbildung eingedeckt und hat auch nur 24 Stunden am Tag zur Verfügung. Sie setzt Prioritäten, die er nicht verstehen will – oder kann. Und obwohl wir, speziell sie, viel Zeit mit den Männern verbracht haben, können wir doch nur zu einem Bruchteil ihre emotionale Kultur nachvollziehen. Oder reden wir uns da was ein? Verstecken wir uns hinter den vermeintlichen kulturellen Unterschieden, weil wir nicht noch mehr helfen können? Weil wir mit der Bedürftigkeit dieser Menschen überfordert sind?
Meine Erfahrung ist, dass nur solche Menschen anderen helfen können, die ihre eigene Bedürftigkeit reflektiert haben und ihre Grenzen kennen. Je mehr man selbst der Zuwendung bedarf, umso dankbarer kann man für die Ablenkung sein, aber nachhaltig und sinnvoll ist das Helfen nicht. Vielmehr kommt es darauf an, frühzeitig die eigenen Grenzen zu achten und sie notfalls zu verteidigen. Alles andere führt auf beiden Seiten in die Wüstenei. Die Flüchtlinge kommen von dort – mehr können sie vermutlich schwer verkraften. Und wir auch nicht. Umso mehr freue ich mich, wenn ich Männer sehe, die der Frühlingssonne mit einem Lächeln begegnen. Sich wohl zu fühlen scheinen. In unserer Oase durchatmen und Kraft schöpfen. Denn ihr Weg ist noch lange nicht zu Ende.