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Ein sonniger Sonntag in der Stadt. Die Straßencafés sind voll besetzt, die Menschen bummeln durch die Gassen, die Frühlingsstrahlen öffnen die Herzen, wie mir scheint. Denn während man im Winter Kopf und Schultern kaum unterscheiden konnte, öffnen sich offenbar nicht nur die Jacken, sondern auch die Körper.

Während ich so vor mich hinstrawanze – ja, ich habe auch Musik mit weniger als 130 bpm auf meinem Smartphone –, entdecke ich einen rundlichen Riesenknäuel am Geländer. Beim Näherkommen sehe ich, dass es sich um zwei Menschen handelt. Einen Schritt weiter mache ich eine Frau und einen Mann aus, die sich so ineinander verhakt zu haben scheinen, dass man ihnen helfend zur Seite springen möchte, um sie zu befreien. Doch offenbar wollen sie gar nicht befreit werden, denn sie sind derart ins Küssen vertieft, dass der Fluss unter der Brücke über die Ufer treten könnte, und sie würden es nicht merken. Nicht dass ich voyeuristisch veranlagt wäre, aber beim Vorbeigehen schaue ich dann doch genau hin. Und nein, es sind keine Teenager, die gerade erst lernen, wie einen die Hormone explodieren lassen können. Es sind zwei Menschen mittleren Alters, die sich aneinander festsaugen, als hätte der jeweils andere einen Sauerstofftank in der Westentasche. Erfrischend, denke ich mir und stelle fest, dass ich so etwas schon lange nicht mehr gesehen habe.

Mittelalter-Menschen wird ja nachgesagt, dass sie gelassen ihr Dasein gestalten. Ihr Leben ist meist in trockenen Tüchern, der Urlaub geplant, das Restleben auch. Viele haben entweder keine Lust mehr auf Neues oder die Hoffnung darauf aufgegeben. Alles schon in der Jugend abgehakt. Oder kennt man schon, braucht man nicht mehr. Die schlimmen Fälle und Danny Glover-Fans denken sich frisch, dass sie zu alt für den Sch... sind. Offenbar gilt das auch für das Verlieben, was ich sehr schade finde. Schließlich halten diese Gefühle jung. Später treffe ich die beiden von der Brücke in einem Café, wo sie an einem Nebentisch Platz nehmen und sich etwas Spritzig-Alkoholisches bestellen. Wenn man sie so sieht, könnten sie gerade Perlen-Hochzeit gefeiert, die Kinder durch die Ausbildung gebracht und das Haus abbezahlt haben. Doch sie haben sich dafür entschieden, es noch einmal krachen zu lassen – und wenn’s mitten auf einer Brücke ist. Die ringlosen Hände halten einander, die Augen begegnen sich glitzernd beim Anstoßen.

Und während ich mich über das Glück der beiden freue und mein Gesicht wieder der Sonne entgegenhalten möchte, fällt mir ein weiteres Paar auf. Sie adrett zurechtgemacht, wie es sich für eine Mittelalter-Frau gehört, er die grauen Schläfen exakt getrimmt. Auch sie sind ineinander versunken, merken nicht, wie die Kellnerin den Kaffee auf dem Tischchen abstellt, geschweige denn den abkühlenden Wind, der vom Fluss herauf weht. Wenn der Cappuccino mit einem Strohhalm serviert worden wäre, hätten sie noch nicht einmal voneinander ablassen müssen. Wie kurzsichtig vom Personal! Und zufrieden stelle ich fest, dass meine Generation doch noch bereit ist, Herzen zu erobern und das eigene erobern zu lassen. Und es hat ja durchaus auch seine Vorteile, sich in diesem Alter zu verlieben. Man weiß, was man will und nicht will, kann das artikulieren und will nicht mehr auf alles selbst draufkommen, was den anderen ausmacht. Klare Worte sind Gold wert, wenn man sein Restleben in vollen Zügen genießen will.

„Dürfen wir uns zu Ihnen setzen? Wir sind auch ganz leise“, spricht mich eine junge Frau an, die mit ihrem Freund auch ein Stück Sonne abbekommen möchte. Und während ich nicke, frage ich mich, was an meiner Ausstrahlung Geräuschempfindlichkeit signalisiert. Vielleicht dieses Intellektuellen-Dings, das mir immer wieder unterstellt wird und wofür ich offensichtlich noch nicht einmal existentialistisches Schwarz brauche. Meinen Denker-Sixpack kann ich auch nicht immer kontrollieren – das wird’s wohl gewesen sein. Lange bleibt das junge Pärchen nicht sitzen, denn die kulinarische Auswahl sagt offenbar nicht zu. Zum Abschied kann ich mir nicht verkneifen, sie zu fragen, ob ICH für sie zu laut gewesen bin. Die beiden lachen und verabschieden sich artig. Manchmal sind Mittelalter-Menschen lockerer als junge, habe ich den Eindruck. Sie auch?

Claudia Dabringer

Claudia Dabringer

Studium der Germanistik und Publizistik in Salzburg mit allem, was zu einer Studentenzeit dazugehört. Mehrjährige Konzentration aufs Radiomachen, bis alles durchexerziert war und das Schreiben wieder im Kopf präsent wurde. Seitdem freie Journalistin und als Fachtrainerin & Schreibpädagogin...
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