Neulich hatte ich meinen Loslass-Tag. Ich wusste gar nicht, dass das so stundenfüllend sein kann, doch offenbar hatte ich einiges freizusetzen. Es sammelt sich ja einiges an in 50 Jahren. Da fällt die Entscheidung oft schwer, ob man Gefühle, Menschen, Erinnerungen oder Dinge loslässt. Mein Plan war, alle vier auf freien Fuß zu setzen.
Gleich vorweg: Der Kater, der an diesem Morgen neben mir aufgewacht ist, hat die Loslass-Übung insofern beschleunigt, als ich zu wenig anderem fähig war. Denn wenn man von der Hoffnung nach lichtendem Nebel beseelt ist, fallen Dinge wie Staub saugen, Fenster putzen und logisches Denken schwer - das eine wegen der mangelnden Kraft, das andere wegen der verdichteten Tröpfchen, deren Geist eben erst verdampfen muss.
Man starrt in den Kaffee, weiß, dass er diesen Prozess verlangsamt, und hofft doch, das durch die eigene Willenskraft beschleunigen zu können. Doch es gibt einfach Dinge, die widersetzen sich den geistigen Kapazitäten, und da hilft es, sich umzuorientieren. Wenn also das eine nicht weggeht, kann man vielleicht etwas anderes ‚proaktiv‘ in die Welt außerhalb des eigenen Universums befördern. Mir kam entgegen, dass dieser Tag ein ‚Gedenktag‘ war daran, dass sich die Welt weiterdreht, obwohl man nur zu gerne die Uhr zurückdrehen würde. Doch auch das entzieht sich naturgemäß dem eigenen Willen. Ein Gedanke daran zu viel und schon stieg Wut in mir auf, die mich in die Gänge brachte.
Ich suchte allerlei Erinnerungsstücke zusammen: eine leere Champagner-Flasche, einjähriges Laub, Perlen, die ich laut meiner Freundin so gerne vor die Säue werfe (siehe Blog von vorletzter Woche), ägyptisches Duftöl und die abgeschnittenen Beine einer Hose, die Zeuge eines Wiedersehens war. Das in eine Flasche zu schneiden, zu bröseln, zu stopfen kann einen ganzen Vormittag füllen, habe ich gemerkt. Versiegelt, fertig. Und schon spürte ich, wie die Konzentration der geistreichen Tröpfchen geringer wurde.
Eingraben war für mich keine Option, denn ‚weg damit‘ war der Auftrag. Also ging ich auf die Suche nach einem lebendigen Gewässer, das alles abtransportiert: die Gefühle, die Erinnerungen, diesen Menschen. Der erste Versuch führte mich an ein fast stehendes Wasser und der Gedanke, dass die Flasche dort eine Zeit lang herumdümpeln würde, machte mich traurig. Also fuhr ich weiter und fand eine Art Wasserfall, an dessen Fuß die Gischt schäumte und der Fluss richtig in Fahrt kam. Ich tappte in meinen Schläppchen das wilde Ufer hinunter und setzte mich auf einen Stein. Irgendwann tauchte der Gedanke „Genug ist genug!“ in mir auf, ich stand auf und warf die Flasche in den Fluss. Kaum war sie untergetaucht, sah ich eine Flugente, die in die gleiche Richtung zog.
Zu Hause lese ich, dass Enten kommen, um das emotionale Gleichgewicht wiederherzustellen, Herzenskräfte aufzuladen und schädliche Emotionen oder Fremdenergien von anderen wie Wasser an ihrem Federkleid abperlen zu lassen. Und während ich im Inneren diesem Tier noch einmal nachschaue, spüre ich eine Weite in meinem Herzen, die es seit Monaten nicht mehr hatte. Spüre ich, dass Platz frei wird – für die Dinge, Menschen und Gefühle, die mein Leben leicht machen. Die leicht dorthin gekommen sind, ohne Kampf, Mühe und Anstrengung. Genau so sollte es sein. „Wer nicht will, hat schon“ fördert die Gelassenheit ungemein. Die Nebel hatten sich gelichtet.
das ist loslassen auf kosten anderer. bestimmt gibt es gescheitere und weniger rgoistischere wege.