Unlängst beim Fußballschauen in einer Bar. Public Viewing in klein, rauchig, eng. Man kann nicht einfach aufstehen und beim Verschießen von Elfmetern ein Loch im Rasen graben, den Liegestuhl des Nachbarn umstoßen, weil der für den Gegner jubelt, oder einfach nur davonrennen, bevor man von der Vuvuzela ganz taub wird.
Hier ist es intim, ein lesbisches Pärchen erfreut sich bei so viel Testosteron an sich selbst, der Weg zur Toilette führt über einen Turm von Pizzakartons, die als Snacks mitgebracht wurden. Mit einem Wort: gemütlich. Vor mir mein geliebtes Kirschbier, noch weiter vor mir ein Riesenfernseher, der für mich wie Kino ist. Sitze zu Hause nämlich immer noch vor einem TV-Gerät, das dicker ist als ich und der Katze gerne als Ablagefläche dient. Links neben mir ein junger Mann, der eine Mischung aus blondem Orlando Bloom und ökologischem Johnny Depp ist – wäre ich jünger, hätte ich mich nicht mit seinem breiten Rücken und dem hin und wieder gewährten Profil begnügt. Und weil mich das Alter großzügig macht, nehme ich sogar meine Füße vom Treppengeländer, damit er alle zehn Sekunden nervös nach seinem Bier greifen kann. Irgendwo muss die Jugend ja hin mit ihren Emotionen.
Rechts von mir ein anderer junger Mann mit ganz anderen Gefühlen. Der brennen will und den man auf Sparflamme hält, einfach weil man’s kann. Der zum Nichtstun verdammt ist, obwohl er die Berge runterbrettern will und nicht nur die heimischen, sondern bald auch die überseeischen. Und der einfach nicht weiß, ob sich das mit einem durchgeschrammten Schienbein zeitlich alles ausgehen wird. Der nervös ist, weil er ruhig bleiben muss, und nicht, weil die anderen auf dem Fußballfeld ruhig sind. Ich unterhalte mich mit ihm, immer wieder gerne, denn das Warten ist mein tägliches Brot. Ich möchte auch so oft so vieles so gerne und doch entzieht es sich genauso oft meiner Kontrolle. Ich kann mich drehen und wenden, auf den Kopf stellen, mit meinen Ballerinas zappeln und dabei doch einen Shimmy machen – es nützt alles nichts. Manchmal habe ich das Gefühl, dass ich mein halbes Leben ‚verwartet‘ habe. Und genau das kann an den Nerven zehren. Habe ich mich dann schlussendlich wieder eingeschüttelt, merke ich sehr schnell, dass alles einen tieferen Sinn hatte und dass ich diese ‚verwartete‘ Zeit für etwas verwendet habe, was im Grunde viel besser zu mir gepasst hat, als mein Sturkopf es wollte. Und genau deshalb kann ich diesen malträtierten jungen Mann so gut verstehen, auch wenn ich ihm gerne beim Graben nach dem Sinn seiner Zwangspause helfen würde. Denn seine Krücken sind kein wirklich passendes Gerät dafür. Doch offenbar freut er sich schon daran, dass ich mitdenken helfen, was seine Genesung unterstützen könnte. Dass ich ihm zuhöre und gemeinsam mit ihm lache. Und ihm zur Aufmunterung ein dickes Bussi auf die Wange gebe. Denn als ich nach dem Spiel meine sieben Sachen zusammensuche und aufbreche, sagt er zu mir: „Bist eine coole Zech’n, Godi.“ Im Pinzgau ist das ein Riesenkompliment. 1:0 für mich.
ICh lache immer Tränen wenn ich Ihre Beiträge lese - ich fühle mich in diesen Momenten immer Verstanden und nicht alleine auf der Welt.
Danke!