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Es ist Herbst. Susi ist traurig. Sie sitzt da und denkt an früher. Früher war es viel schöner. Früher war sie noch jünger, attraktiver. Früher ging die Arbeit noch leichter von der Hand, war das Leben noch nicht ein täglicher Kampf, ob sie weitermachen solle oder nicht, mit all der Routine, mit all dem Alltag. Und so quält sich Susi Tag für Tag, sagt sich: „Wäre doch ..., hätte ich doch ..., wenn ich doch nur ..., könnte er doch wieder ...“ Sie kennen das?

Früher war definitiv alles besser? Sie trauern dem alten Leben nach? Einer verflossenen Liebe? Einem früheren Job? Sie ärgern sich über verpasste Chancen? Haben die falschen Entscheidungen getroffen? Willkommen im Klub der Lungenschwächlinge! Es wird Herbst und schon schwächelt die Lunge. Sie wissen sicher schon aus früheren Artikeln, dass wir chinesisch ein bisschen anders denken. Wenn ich von der Lunge rede, meine ich die chinesische Lunge. Und die hat verschiedene Aufgaben im Körper. Einerseits atmen wir mit der Lunge. Andererseits ist die Haut ein Teil der Lunge (Sie kennen bestimmt den Begriff der ‚Hautatmung‘). Durch die Haut treten wir in Kontakt mit unserer Umwelt. Mit der Atemluft, die wir alle gemeinsam nutzen, um dem Körper Sauerstoff zuzuführen und Kohlendioxid abzuführen, sind wir mit allen Menschen auf dieser Erde sehr eng verbunden. Die Lunge kommuniziert körperlich mit unserer Umgebung. Eine weitere wichtige Funktion der Lunge: das Immunsystem. Der, der mit der Umwelt kommuniziert, soll sie sich auch gleich genauer anschauen und drohende Gefahren wie herumschwirrende potenzielle Krankmacher, Bakterien und Viren, abwehren. Eine gesunde Lunge schützt uns vor Gefahren von außen und auch von innen. Und da sind wir schon bei den Krankmachern: Von außen nennen wir sie pathogene Faktoren oder auch klimatische Faktoren. Von außen greifen uns, chinesisch gedacht, Wind, Kälte, Hitze, Trockenheit, Feuchtigkeit und die Hitze des Sommers, die Sommerhitze, an. Von innen unsere Emotionen. Ursprünglich, im Schamanismus, hat man geglaubt, dass Erkrankungen immer von außen eingedrungene ‚böse Geister‘ sind.

 

Die daraus resultierenden Krankheiten gehören nicht zu uns, sind ‚Fremdkörper‘, die man möglichst schnell wieder loszuwerden hat. Was hat der alte Schamane gemacht? Er hat ein Loch in den Körper gebohrt, damit der böse Geist den Körper wieder verlassen kann. Und schon war die Akupunktur geboren. Die Akupunktur ist im ursprünglichen Denken nichts anderes, als ‚Löcher in einen Körper machen‘, damit das Böse, das da nicht hineingehört, wieder hinausfindet. Die Akupunktur hat sich mit den Jahrtausenden verfeinert. Die ursprünglich großen Löcher im Körper wurden immer kleiner, die ursprünglich verwendeten Steine, um Löcher in den Körper zu machen, wurden durch Nadeln ersetzt und durch die Metallverarbeitungskunst der Japaner vor etwa 2.000 Jahren auch immer dünner. Heute machen wir mit der Akupunktur nur noch ‚homöopathische‘ Löcher in den Körper, was einen großen Vorteil gegenüber der ursprünglich schamanischen Methode bedeutet: Die Wahrscheinlichkeit, diese Behandlung zu überleben, hat sich in den letzten Jahrtausenden deutlich erhöht. Doch die Traditionelle Chinesische Medizin denkt weiter. Für sie war es nicht damit getan, Böses auszutreiben (was man übrigens auch hervorragend mit verschiedenen Kräutern provozieren kann, die den Eindringling über Schweiß, Stuhl, Harn und auch den Mund vertreiben, indem sie Fieber hervorrufen, Durchfall, den Harnfluss anregen oder Erbrechen provozieren). Sie erkannte, dass Erkrankungen auch ‚einfach so‘ von innen kommen können. Und diese Krankmacher sind die ‚Emotionen‘, die Gefühle. Unglaublich, dass die Chinesen bereits vor mehr als 2.000 Jahren erkannt haben, dass ‚zu viele oder zu intensive‘ Gefühle krank machen! Da wussten wir hier im Westen noch gar nicht, wie uns emotional geschieht. Erst mit Sigmund Freud wurde hier im Westen die Ära der Emotionserkennung und -verarbeitung, welche uns das große Feld der Psychotherapie eröffnet hat, eingeläutet. Und damit entdeckten wir hier im Westen auch gleich einen neuen Teil in uns, die Psyche, und deklarierten sie als nicht zum Körper gehörend, beinahe als einen Gegenpart zum Materiellen, Angreifbaren und Messbaren.

 

Das Erkennen der Emotionen als Krankmacher hier im Westen hat ein neues Ungeheuer geschaffen, einen neuen Angreifer. Bis heute ist es in unserem Denken verankert, dass die Gefühle nichts mit dem Körperlichen zu tun haben, dass gewisse Zustände und Erkrankungen, sobald man den Körper komplett durchuntersucht und nichts Ungewöhnliches feststellen konnte, durch kein Bakterium und keinen Virus, welche die Chinesen so schön als ‚Wind-Hitze oder Wind-Kälte‘ bezeichnet haben (‚die Angreifer von außen‘), durch keine organische Funktionsstörung, keine außerkörperliche Wucherung oder Verknotung (wie Tumore und Krebs, welche in unserem Denken etwas Fremdes sind, das nicht in uns hineingehört, das da irgendwie in uns eingedrungen oder gewuchert ist), durch keine von der Norm der Menschen abweichenden und mit Messinstrumenten erfassbaren Parameter hervorgerufen werden, sondern einfach nur psychisch sind! So haben wir das weite Feld der psychosomatischen Erkrankungen geschaffen. Denken Sie an unsere westliche Hierarchie: Zuerst wird der ganze Körper unter die Lupe genommen und wenn man gar nichts findet, dann muss es wohl das Unsichtbare sein, die Psyche. Meistens atmen wir erleichtert auf (die Lunge freut sich ...), sowohl Arzt als auch Patient, dass es ‚eh nichts ist‘. „Sie sind eh vollkommen gesund“, bekommen Sie dann zu hören. Ihnen fällt ein riesiger Stein vom Herzen, weil nichts Schlimmes hinter Ihren Beschwerden steckt. Und erleichtert verlassen Sie die Arztpraxis, bis Ihre Gedanken Ihren Körper wieder einholen. „Ja, aber Moment mal, die Beschwerden habe ich ja trotzdem ...“ Sie können sich dann damit trösten, dass es ja nur psychosomatisch ist ... Vor noch wenigen Jahrzehnten hätten Sie zu sich selbst gesagt – und auch andere hätten es Ihnen nahegelegt –, dass man sich ‚halt zusammenreißen muss‘, ‚dass man da nicht irgendwelchen komischen Gefühlen Platz machen darf im Körper‘, gerade so, als hätte man all seine Gefühle in den Griff zu bekommen. Die heutige Psychotherapie ist da Gott sei Dank schon viel weiter und kann mehr an Therapie anbieten als unser gesellschaftlich verordnetes ‚Sichzusammenreißen‘. Nach diesem wunderschönen Bogen zurück zu unserer Chinesischen Medizin: Wenn es um ‚Psychosomatik‘ geht, geht es chinesisch um unsere Lunge.

 

Und da mischt sich noch das alte Denken der Chinesen mit ein: In der Lunge lebt ein Geist und der heißt Po. Der Po ist ein äußerst sensibler Geist. Er erinnert an einen weltfremden Künstler, einen Träumer. Stundenlang verliert er sich in Gedanken, sinniert über dies und das und vergisst gerne die Welt um sich. Und Patsch! schlägt ihm die Realität ins Gesicht. „Man kann doch nicht ...“, „So geht das aber nicht ...“ – und der Po beginnt zu weinen. Er wird traurig. Er zieht sich in sich zurück, was auf körperlicher Ebene bedeutet, dass er die Kommunikation mit seiner Umwelt reduziert. Seine Kommunikation ist die Atmung, unsere gemeinsame Atemluft, und die wird immer weniger und weniger. Und unsere Lunge wird krank. Und Patsch! gibt es etwas Körperliches, das unsere westliche Medizin erkennen und behandeln kann. „Sie haben Asthma, na, da können wir ja etwas machen ...“ Chinesisch bildet die Lunge ja auch das Immunsystem. Und wenn der Po traurig ist, funktioniert es auf einmal nicht mehr gut. „Sie haben einen Infekt, na, da können wir ja etwas machen ...“ Oder Sie bekommen eine Hautkrankheit, die Sie ‚ganz schirch‘ macht, um die Menschen um Sie herum zu vertreiben und auf Abstand zu halten. „Sie haben ein Ekzem, eine Psoriasis, eine Akne, na, da können wir ja etwas machen ...“ Eigentlich ist das Körperliche ein Hilfeschrei des Po, weil es ihm nicht gut geht. Und wie ein kleines Kind, das „Geh weg!“ schreit, eigentlich nur festgehalten werden möchte, träumt der Po auch vom Gehalten- und Getröstetwerden. Eigentlich ist es so einfach. Psychosomatische Erkrankungen sind gerade sehr moderne und beliebte Erkrankungen bei uns. Chinesisch bedeutet das, dass es der Lunge sehr oft bei uns nicht gut geht, dass es dem Po bei uns sehr oft nicht gut geht. So wie unserer Susi. Die Emotion der Lunge ist die Traurigkeit. Diese kann durch Trauer ausgelöst werden. Das ist dann die natürliche Variante. Jemand stirbt, der Partner betrauert seinen Verlust. Er weint. Dabei helfen ihm die Tränen und das tiefe Ausatmen beim Weinen, um den Schmerz aus dem Körper hinauszubekommen. Wer weint, verarbeitet. Und dazu braucht es Zeit, viel Zeit. Wenn man diese verwendet, um ‚auszureden‘, um mit anderen gut in Kontakt zu bleiben, nicht den dauerhaften Rückzug anzutreten, dann wird die Trauer nach einer Übergangszeit der Traurigkeit verschwinden. Sie wird verschwinden. Aber es wird etwas in einem selbst bleiben, dem wir in der Erinnerung mit einem Lächeln begegnen werden können. Die Trauer heilt. Nicht so bei unserer Susi. Es ist niemand gestorben. Es gibt keinen konkreten Anlass für diese komische Traurigkeit in ihr. Und was macht unser Geist, unser Denken? Er sucht sich einen Anlass. „Na ja, ist eh klar, dass es mir so schlecht geht, weil ich doch damals ... Hätte ich damals anders entschieden, würde ich heute ... Wenn er noch ..., dann wäre ich heute glücklich ...“

 

Diese Melancholie, diese Grundstimmung der Traurigkeit, dieses Nachhängen in alten Geschichten, ist etwas ganz Typisches für Lungenschwächlinge, Menschen, die vom chinesischen Denken her eine schwache Lunge haben. Und warum hat Susi eine schwache Lunge? Warum sind psychosomatische Erkrankungen bei uns so verbreitet? Chinesisch ist das ganz einfach: Erstens, weil wir uns einfach nicht um sie kümmern! Denken Sie an ein kleines Kind, das mit seinem Vater spielen möchte. Immer und immer wieder kommt das Kind und fragt, ob sie jetzt endlich miteinander spielen. Das „Ja, gleich“ des Vaters verliert immer mehr an Bedeutung, da keine Handlung seinerseits folgt. Das Kind fühlt sich nicht gehört, resigniert und wird traurig. Patsch!, Lungenschwäche! Um die Lunge kümmern heißt: „Gut atmen!“ Gut atmen tut man dann, wenn man sich täglich bewegt, wenn man nicht den ganzen Tag eine nach vorne gekrümmte Haltung einnimmt – wie wir an all unseren Schreibtischen –, die es einer normalen Lunge unmöglich macht, normale Atemexkursionen zu vollführen. Also täglich bewegen, täglich die unnatürliche Starrheit unseres Brustkorbes durchbrechen und Dehnen und Strecken und Yoga oder Qigong oder Tai-Chi oder was auch immer. Raus und bewegen, die Lunge spüren lassen, dass sie noch gebraucht wird, dass sie in ihrer Sensibilität gehört und gehalten wird. Sind Sie Ihrem verspielten Po ein guter Vater! Und zweitens, weil wir uns nicht um die Mutter der Lunge kümmern, unsere chinesische Milz, weil wir nicht lieb sind zur Milz! Und wenn es der Mutter nicht gut geht, dann kann es dem Kind auch nicht gut gehen. Da kann der Vater noch so viel mit dem kleinen Po spielen, der wird sich einfach nicht erholen. Wenn das Kind nicht regelmäßig Zuwendung bekommt, regelmäßig Essen und Trinken, regelmäßig Waschen und Streicheln, regelmäßig frische Wäsche, regelmäßig Zusammenräumen und Mistkübel ausleeren (die vollen Mistkübel nennen wir chinesisch ‚Feuchtigkeit‘ – klingelt da was bei Ihnen?), wird es in Dreck ersticken, wird die Lunge in Dreck ersticken, wird der Po sich immer mehr zurückziehen und jegliche Kommunikation wie auch das Atmen oder den Kontakt zur Umwelt einschränken. Susi hängt in ihrer Melancholie fest, weil sie nicht gut atmet, weil sie sich nicht täglich gut bewegt, weil sie nicht täglich ‚lieb ist zu ihrer Milz‘ und nicht auf ihre Ernährung achtet. Was ihre Milz braucht, ist regelmäßig ein gutes Essen, gut zubereitet, am besten schon gleich in der Früh ein gutes gekochtes Frühstück (klingelt es da wieder bei Ihnen?), eine Achtsamkeit bei der Auswahl, was oben in den Mund hineinkommt („Wer Müll isst, wird schön langsam zu Müll ...“), und Zeit, viel Zeit beim Essen und Verdauen. Was die Milz braucht, ist Aufmerksamkeit: „Was hättest du denn gerne?“ Wie die Milz auf einmal strahlt, dass sie gefragt wird, was sie braucht! Und voller Energie leert sie all die Mistkübel aus, unter denen sich der vernachlässigte Po versteckt hatte, dann wäscht und pflegt sie ihn, und auch der Vater kommt dazu (Sie!) und spielt mit ihm, und schön langsam beginnt der Po wieder zu träumen, beginnt Susi wieder nach vorne zu blicken und lässt den Herbstnebel hinter sich ...  

Ihr Kräuterdoktor Weidinger

 

Dr. Georg Weidinger

Dr. Georg Weidinger

Georg Weidinger geboren 1968 in Wien, studierte Medizin an der Universität Wien, Doktorat 1995, Traditionelle Chinesische Medizin und Akupunktur (unter anderem bei Dr. François Ramakers, Prof. Dr. med. et Mag. phil. Gertrude Kubiena, Dr. Gunter R. Neeb), Diplom 2003, klassisches Klavier und Kompos...
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