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Zunehmend kann ich das Herz von Orten zu fühlen. Manche Orte, Städte und Dörfer haben keines mehr - oder hatten sie nie eines? Ich glaube, auch das gibt es. Das Herz der Orte.

Solche Stätten meide ich oder suche schnell das Weite. Mit Menschen ist es genauso. Immer muss ich den Pulsschlag spüren, den ich im vergangenen Jahr in einem alten Baum vernahm.
Als ich in Kiel war, vor einigen Tagen, fiel mir der extreme Unterschied auf zwischen vor und hinter dem Bahnhof. Oder ist das nicht eigentlich oft so mit Bahnhöfen?
In Kiel ging es mir so, dass ich mich, sobald ich mich der Stadt zuwandte, überhaupt nicht wohl fühlte. Na klar, eine von diesen stark zerstörten, deutschen Städten. Manche sind einfach wie notdürftig übertüncht und zugekleistert. Depression, verschluckte Bosheit, irre Trauer, unbeweinte Tote, Schuld wie eingemörtelt in die Häuser, einbetoniert in die Strassen. Aber Halt! in Hannover, Köln ist das doch anders, auch diese Städte waren stark zerstört.
Was ist da anders? Dort sind es die Kirchen und die Plätze, der See in der Mitte der Stadt. Der Dom, die Kirchen, der Rhein, die Brücken.
Zurück zu Kiel: Das Herz der Stadt ist der Hafen, wie es so oft der Fall ist bei Städten, die an Flüssen oder am Meer liegen. Und der Bahnhof liegt direkt am Hafen, wo gibt es das schon. Also gehört der Bahnhof zum Herz noch dazu. Obwohl fast völlig zerstört, wie ich lese, ein wunderbarer Bahnhof, der erste in ganz Norddeutschland, der Kiel mit Altona verband, ist er wieder ausgesprochen ansehnlich geworden. Wann habe ich mal gefühlt, nach dem Aussteigen, nach siebenstündiger Fahrt: Hier könnte ich mich jetzt eine Weile aufhalten.
Aber dann: Die Entdeckung der alten weit schwingenden Bahnhofstreppe, hinunter, mit Blick auf das sattblaue Band der Förde, die Fussgängerbrücke, eine malerische Kneipe mit Terrasse, und ein, zwei Schiffe - „Pötte“ nannten wir sie in unserer Kindheit -, stattlich wie mehrstöckige Häuser! Dahin wollte ich, zuerst in die Kneipe, dann in die Förde, nirgendmehr woandershin.
So verbrachte ich den Rest des Tages: Mit einer Hafenrundfahrt, Fischessen in Laboe, nach der Rückkehr noch einen Tee auf der schon bekannten Terrasse.
Würde ich hier wohnen, dann nur in der Nähe der Förde.
Es gibt Orte, da fühlt meine Seele sich heimatlos, auch nach Jahren. Zum Beispiel der Ort, wo meine Mutter lebt. Aus meiner Sicht ein unbarmherziger Ort. Vielleicht wäre die Kurquelle, die heute eingemauert ist, mit geregeltem Zugang, das Herz des Ortes. Eine Quelle darf eigentlich niemandem gehören.
Die Göttin der Quelle hockt vielleicht trauernd - wo? Der ganze Ort wirkt wie tot, und so fühlte ich mich, wenn ich dort war. Bis ich die Buddhisten gefunden hatte. Buddhisten haben den Mut, einen Ort des Todes wieder mit Herz zu erfüllen.
Oft bilden Kirchen, Friedhöfe oder alte Böume das Herz eines Ortes.
Man möchte ein paar Schamanen und Buddhisten an manchen Orten zusammen trommeln, um dessen Herzschlag zu kräftigen.
Was richten wir nur an? Glauben wir wirklich, wir würden „nur“ Menschen töten, die wir als untragbar erleben, durch Bomben, Gewehre, Hunger, Schiffshavarien?
Nein, wir töten viel mehr: Wir töten das Herz der Orte, und unser eigenes dazu.

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Monika Winkelmann

Monika Winkelmann

Monika Winkelmann, geboren 1952, Mutter einer erwachsenen Tochter, geschieden seit 2019, hat 1980 mit 28 Jahren ihr erstes Meditationswochenende in Hamburg besucht. Diese tiefgreifende Erfahrung sowie ihr Leben als Alleinerziehende der Tochter Lisa, geb. 1984,  bewirkten, dass sie viele Jahre a...
Kommentare  
# Paul Back 2018-10-09 13:23
Sehr schöner Text! Danke dafür
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