Oft ist die Zunge schneller als der Geist. Es sprudelt nur so aus uns heraus, obwohl wir doch von Lüge, Klatsch und Geschwätz Abstand nehmen sollten. Wie die Gedanken können auch Worte heilsam oder unheilsam, nützlich oder unnützlich, wahr oder falsch sein.
Der Wert der Sprache liegt darin, Menschen zu heilsamen Taten zu bewegen. Über die Bedeutung der Worte auf dem Weg zur inneren Freiheit.
Wenn ich als Jugendlicher mit meinen Freunden beisammen war, dann machte es uns am meisten Spaß, über andere zu reden und das vorwiegend schlecht. Wir zogen über alle her und das kam uns normal vor, das machten doch alle. Ich lebte damals in Wien und hatte gerade meine spirituelle Lebensreise mit der Mitarbeit in einem der ersten buddhistischen Zentren begonnen. Wir begannen zu meditieren, die Gewohnheit, über andere schlecht zu reden, blieb jedoch. Daher gab es trotz Meditation viel Streit. Ein österreichischer Künstler sagte einmal in einem Interview über diese seiner Meinung nach besonders bei den Wienern ausgeprägte Art dem Sinn nach: „Man sitzt im Kaffeehaus mit guten Freunden und alle sind super und man versteht sich so gut. Und kaum steht einer auf und geht, sagt man von ihm, dass er ein kompletter Trottel ist." Doch durch Meditation, Reflexion und Therapie keimten die ersten Pflanzen der Einsicht und ich merkte, dass mir diese verurteilenden Gespräche immer unangenehmer wurden. Ich lehnte mich dagegen auf. Das war gar nicht so einfach. Wenn negativ über jemand anderen geredet wurde, versuchte ich, etwas Positives beizutragen. Damit wurde ich zuweilen zum Spielverderber, denn das wollte man gar nicht hören. Das war mein persönlicher Einstieg in die Rechte Rede.
In der buddhistischen Lehre geht es um Bewusstwerdung, um Änderung und Schulung des Geistes in Richtung Gelassenheit und Unabhängigkeit. Einmal vergleicht der Buddha die Arbeit eines spirituellen Menschen mit der Arbeit eines Bogenmachers, der genau wissen muss, welches Holz er nimmt und wie es bearbeitet werden muss, um eine gute Waffe zu ergeben. Auf gleiche Weise soll man das Denken und den Geist bearbeiten, bis er ein perfektes Werkzeug geworden ist. Es erscheint logisch, dass ein Ausdruck des Denkens, nämlich das Reden und seine Beherrschung, ebenfalls wichtig genommen wird. An zwei prominenten Stellen in der ursprünglichen Lehre des Buddha wird das sichtbar: Einmal im Edlen Achtfachen Pfad, in dem ein Glied die Rechte Rede ist. Zum Zweiten in den fünf ethischen Richtlinien, wovon die vierte anweist, unrechte Rede zu vermeiden, das heißt, Lügen, Unwahrheit, Verleumden, Hintertragen, Schimpfen und oberflächliches Geschwätz zu unterlassen. Denkt man über die Bedeutung des Redens nach, wird schnell deutlich: Mit Worten kann man unendlichen Schaden anrichten, mit Worten kann man so viel Gutes bewirken. Warum fällt es uns dann so schwer, diese klaren Richtlinien im Alltag umzusetzen? Warum ist eine harmonische, förderliche Kommunikation gerade im Umgang mit den uns nahestehenden Menschen oft so schwierig? Warum fällt es uns unter Umständen leichter, täglich zwei Stunden still zu sitzen, als unserem Partner zwei nette Sachen zu sagen? Tatsache ist doch, dass in all unseren Beziehungen Kommunikation die wesentliche Rolle spielt und letzten Endes verantwortlich ist für Gelingen oder Scheitern, für Harmonie oder endlosen Krieg, für Wohlbefinden oder vergiftende Missstimmung.
Aus den anfangs erwähnten Jugendtagen hatte ich einen Freund, mit dem ich mich im Bemühen um eine buddhistische Gemeinschaft völlig zerstritten hatte. Unsere Wege trennten sich und selten pflegten wir Kontakt oder hörten voneinander. Eines Tages sprach ich mit jemandem, der meinen Freund auch gut kannte und der sich ziemlich negativ über diesen äußerte. Ich merkte erst später, wie ich mich gewohnheitsmäßig eifrig daran beteiligt hatte. Es ist so leicht, wenn man sich im Recht fühlt, zu sagen: „Oh, dieser Mensch, der ist unmöglich, der macht Schwierigkeiten, der versteht gar nichts von wahrer Spiritualität." Einige Tage später, während eines Kurses, kam mir in der Meditation dieser Vorfall wieder in Erinnerung und ich erkannte, wie selbstgerecht und wie schädlich letzten Endes mein Verhalten war. Ich begann nachzuforschen und entdeckte, wie viele positive Eigenschaften mein ehemaliger Freund hat und wie viel ich ihm zu verdanken hatte. Ich konnte das alles in einem Brief ausdrücken und damit setzte ein Prozess der Versöhnung und eine Erneuerung unserer Freundschaft ein. Die entscheidende Änderung lag darin, dass eine in mir unerlöste Sache aufgearbeitet und abgeschlossen werden konnte.
Ein anderes Beispiel, wie Rechte Rede möglich wird und heilende Veränderung bewirkt, habe ich vor kurzem erlebt. In einer spirituell orientierten Arbeitsgemeinschaft ging es darum, an einem Mitglied Kritik zu üben. Zunächst trafen sich die Mitarbeiter ohne die besagte Person. Nachdem man festgestellt hatte, was es zu Recht zu kritisieren gab, geschah ein bemerkenswerter Prozess. Die Mitglieder hatten gelernt, nicht nur den eigenen Standpunkt wahrzunehmen, sondern sich auch in die Gefühle der anderen zu versetzen. Nachdem man bereit war, den Betreffenden zum Gespräch einzuladen, sagte jemand: „Wir sollten darauf achten, nicht gleich mit der Kritik zu beginnen, sondern zunächst das sagen, was uns positiv an dieser Person aufgefallen ist." Jemand anderer ergänzte: „Vor allem sollten wir nicht zu reden beginnen, sondern zunächst die Person einladen, ihre Version von den Vorfällen zu sagen, und uns darin üben, aufmerksam zuzuhören, ohne gleich zu urteilen." Das alles kam nicht aus Konzepten von Rechter Rede, sondern aus der Einsicht, dass wir auf andere Weise schon viel Schaden angerichtet hatten. Es funktionierte tatsächlich. Durch die positive Einstimmung und den Raum, den die Person bekam, war es ihr möglich, die Fehler im eigenen Verhalten selbst zu finden und zu benennen. Kritik war unnötig geworden und das Gespräch beschränkte sich darauf, gemeinsam zu überlegen, wie man in solchen Fällen besser vorgehen könnte. Diese und viele andere Beispiele zeigen mir, dass es mit Geduld und Verstehen möglich ist, auf eine natürliche Weise die Rechte Rede zu praktizieren.
Thich Nhat Hanh, einer der führenden Lehrer der Achtsamkeit, hat angesichts der Streitigkeiten, die auch unter Mönchen und Nonnen vorkommen sollen, bestimmte Formen und Rituale der Rechten Rede entwickelt. Man übt in achtsamen Gesprächen das Zuhören, das Bewässern der Blumen im Herzen der anderen, das Annehmen und Erkennen der eigenen Fehler, schließt Friedensverträge, verspricht, nichts unter den Tisch zu kehren, aber liebevoll anzusprechen, man bemüht sich um Verstehen und Liebe. Solche Formen können helfen, aber oft nehmen wir sie zu starr, zu sehr als Strategie und wundern uns, wenn andere Menschen davon nichts wissen wollen. Ich kann mich noch an Zeiten erinnern, als wir begannen, diese Formen einzuführen, da sagte jemand: „Aber diesmal wollen wir nicht wieder scheinheilig mit dem Positiven beginnen. Ich ärgere mich so, ich will gleich zur Sache kommen und sagen, was mich aufregt." Wenn wir solchen Widerständen begegnen, müssen wir lernen, die gegebenen Formen und Anweisungen kreativ und geschickt in unser Leben einzubauen. Ein Teilnehmer sagte vor kurzem: „Ich sehe das völlig ein, Blumen bewässern, positiv sprechen und all das. Aber als ich meiner Familie damit kam, wollte sie davon nichts wissen. Sie wollten weiter spontan ihren Ärger rauslassen. Nun, da habe ich mir gedacht, dann mache ich es auch weiter so. Es ist zwar nicht gut, führt zu vielen Missstimmungen. Aber wenn die anderen das so wollen, kann ich nichts machen."
Ich habe geantwortet: „Vergiss die Formen, das musst du anders machen. Wenn du verstehst, worum es geht, dann schau einfach, wo sich beim Spazieren, in einem Lokal, die Möglichkeit eines Gespräches ergibt. Lade die anderen durch geschickte Fragen ein, von sich zu erzählen. Zeige echtes Interesse und höre gut zu. Mache keine Kommentare, versuche zu verstehen, fühle dich ein. Und wenn die Gelegenheit kommt, dann sprich über deine Gefühle, deine Gedanken. Daraus entsteht auf natürliche Weise Rechte Rede." Regeln, Richtlinien, Verhaltensformen sollten uns als Mittel der Ausrichtung dienen, nicht als Gebote und neue Zwänge, die uns und andere in Widerstände bringen. Wir müssen Buddhas vielfältige Anweisungen zur Rechten Rede auf rechte Weise verstehen. Als ich ein Kind war und irgendwann die Lüge als ein praktisches Mittel, manchem Unheil zu entkommen, entdeckte, bekam ich erst recht großes Unheil, denn für meinen Vater gab es kein schlimmeres Vergehen, als zu lügen, und so wurde es auch bestraft. Natürlich sah ich das nicht ein und auch nicht, warum es so schlimm sein sollte zu lügen, trotz der Erklärung meines Vaters, dass das Lügen der Anfang alles Schlechten sei. Nun, wenn keine Einsicht da ist, dann helfen eben nur Verbot und Strafe. Ich denke, es ist eben dieses Prinzip, das Gebote, Regeln und Disziplin in den Religionen mit Androhung von Höllen oder schlechtem Karma verständlich macht. Wenn wir uns unreif und uneinsichtig wie kleine Kinder zeigen, dann hilft nur das Verbot. Wenn wir nichts einsehen, dann brauchen wir zumindest eine klare Ansage, was recht ist und was unrecht.
Scheinbar hatte der Buddha als Vater und Meister mit seinem Sohn Rahula, nachdem dieser Mönch in der Gemeinschaft geworden war, das gleiche Problem. In der Lehrrede Mittlere Sammlung 61 finden wir, wie der Buddha den jungen Mönch ermahnt, nicht zu lügen. Der Meister goss schmutziges Wasser aus einer Schale und sagte: „So verloren, wie dieser Rest Wasser ist das Leben eines Mönches, der absichtlich lügt. ... Nun ist die Schale leer. Genauso leer und hohl ist das Leben eines Mönches, der nicht die Wahrheit spricht. ... Ein Mönch, der lügt, ist nicht bereit, alles zu geben. Solange er lügt, ist er auch zu anderen üblen Taten fähig." Nach dieser Ermahnung nimmt die Rede eine interessante Wende. Er gibt Rahula den Rat, täglich über seine Handlungen zu reflektieren, gleichsam wie in einen Spiegel zu schauen, indem er sich fragen sollte: „Bringt diese Handlung mir selbst oder anderen Schmerz und Leid?" Solche Reflexion soll man vor, während und nach einer Handlung durchführen, um sich selbst zu erkennen. Damit gibt der Buddha ein wichtiges Werkzeug auf dem Weg der achtsamen Rede: die meditative Reflexion, die bewusste Untersuchung des eigenen Denkens, Redens und Handelns. Der Buddha beendet seinen Vortrag mit den Worten: „Alle Übenden, die sich ändern wollen und in Zukunft erfolgreich auf dem geistigen Weg sein möchten, müssen über ihre Handlungen reflektieren."
Weises Reflektieren muss geübt und gelernt werden und ist ein lebenslanger Prozess. Oft wird die Achtsamkeit und Einsicht nicht stark genug sein und für diese Fälle hat der Buddha viele praktische Hinweise gegeben. Eine kurze Zusammenfassung der wichtigsten Grundsätze liefert ein Mönch auf die Frage des Buddha, wie er die Rechte Rede verstehe: „Sprich nur solche Worte aus, die du nachher nicht bereust und die andere nicht verletzen. Rede nur freundlich, sage nur das, was willkommen ist. Greife nicht das Schlechte der anderen auf, bleibe freundlich. Das Wahre, Heilsame und Gute ist immer das Kennzeichen edler Menschen. Die beste Rede jedoch ist die, die wie das Wort des Erwachten zum inneren Frieden, zum Nirwana führt." (Sutta-Nipata 3/3) Ayya Khema hat ausgehend von einer Rede des Buddha folgende Filter empfohlen, ehe man etwas sagt. Man solle prüfen: Ist es wahr? Wird es hilfreich sein? Wird es angenehm sein und verstanden werden? Wenn das alles zutrifft, dann solle man sich noch überlegen, ob jetzt der richtige Zeitpunkt sei. In dieser Rede sagt der Buddha: „Wenn etwas wahr und nützlich ist und dennoch nicht angenehm, dann sage ich es." (Mittlere Sammlung 58) Damit weist der Meister darauf hin, dass es zuweilen durchaus notwendig ist, etwas zu sagen, was andere nicht erfreut.
Besonders überzeugende Vorschläge gibt es zum Thema Ärger, Streit, Aggression und Umgang mit Kritik. Grundlegend sollte man darauf achten, dass die eigene Rede nicht von Ärger bestimmt und geleitet wird. Eine Voraussetzung dafür ist es, die Kunst des Zuhörens zu lernen und nicht sofort auf Angriffe mit Gegenangriffen zu reagieren. Sollte man kritisiert werden, so empfiehlt es sich, die Kritik ruhig anzuhören, zu prüfen, was man davon lernen kann, und den Kritiker als einen guten Freund zu betrachten. Sariputta, ein hervorragender Mönch des Buddha, fasst das zusammen, was man beachten sollte, wenn man selbst Kritik äußern will: „Suche dir dafür eine geeignete Zeit. Versuche, von Tatsachen zu sprechen. Wähle höfliche und freundliche Worte, und vermeide jede Art von Aggression. Versuche, den Sinn und Zweck deiner Kritik nicht aus den Augen zu verlieren." Auf die Frage des Buddha, was man macht, wenn jemand trotzdem die Kritik nicht annimmt und ärgerlich wird, sagt Sariputta: „Ich werde mich damit begnügen, die zu ermahnen, die wirklich Interesse daran haben." (Angereihte Sammlung 5 / 167)
Es ist gut, sich vor Augen zu führen, dass man auch mit bester Absicht und ruhigster Stimmung nicht immer Erfolg haben wird. Wir wissen aus manchen Geschichten, dass es auch in der Gemeinschaft des Buddha immer wieder Streit gab. Ein berühmter Vorfall erzählt, wie der Buddha einen Streit der Mönche trotz mehrfacher Intervention nicht beenden konnte und schließlich die Gemeinschaft verließ. In der Mittleren Sammlung 104 findet sich eine ausführliche Darstellung, was zu tun ist, wenn es in einer Gemeinschaft zum Streit kommt. Zunächst werden die Ursachen von Streit aufgezählt. Da ist der Zorn, der Wunsch nach Vergeltung, da ist die Anmaßung, sich selbst besser vorzukommen und andere zu verachten, da sind Neid und Ehrgeiz, da ist der Wunsch, anderen zu schaden, und vor allem das Hängen an eigenen Ansichten und Überzeugungen. Die wichtigsten Punkte, um Streit zu überwinden, sind: Regelmäßige Zusammenkünfte und Klärung der gemeinsamen Richtung, alte und unerledigte Geschichten abschließen, eigene Fehler erkennen, zugeben, daraus lernen und den Entschluss fassen, sie nicht zu wiederholen. Danach sollte man Eigenschaften pflegen, die zur Harmonie beitragen. Das sind: Liebevolles Mitgefühl, Großzügigkeit, Achtsamkeit, gute Ansichten und das Wissen, dass alles zum Ende des Leidens führen soll. Das mag einer der wichtigsten Hinweise sein: Nicht auf den niederen Ebenen des Streits verharren, sondern die Perspektive auf das höhere und wahre Ziel, die innere Befreiung, richten.
Für die notwendige Umsetzung aller Richtlinien in unserem täglichen Leben mag es wichtig sein, zuletzt noch auf drei beliebte Missverständnisse hinzuweisen. Erstens: Wenn wir merken, dass wir nicht fähig waren, uns an die Anweisungen zu halten, obwohl wir sie verstehen und schätzen, dürfen wir uns nicht als Versager fühlen und uns selbst verurteilen. Das wäre erst recht ‚Unrechte Rede', die diesmal in uns selbst stattfindet. Sogenannte Fehler sind nicht nur erlaubt, sondern der notwendige Boden, auf dem die Einsicht wachsen kann. Zweitens: Rechte Rede bedeutet nicht, dass man immer nur liebevoll, freundlich, leise, verzeihend, gütig und eher schweigsam ist oder sich alles gefallen lässt. Die Frage ist, wie kann man sich engagieren, vielleicht sogar empören und dennoch Rechte Rede üben. Es gibt Reden des Buddha, die nannte er selbst das ‚Brüllen des Löwen' und das ist nicht gerade sanft. Die Antwort findet sich in der Mittleren Sammlung 48, in der es heißt: „Achtet darauf, dass eure Handlungen ... Worte ... Gedanken ... aus dem Geist der Liebe kommen."
Drittens: Menschen, die sich um tiefere Ebenen des Geistes bemühen, mögen zu dem Schluss kommen, dass Worte letzten Endes die Wahrheit nicht fassen können, dass die befreiende Erfahrung jenseits des Denkens liegt. So weit, so gut. Daraus darf man jedoch nicht schließen, dass Worte sinnlos sind und keine Bedeutung haben. Vielleicht kommt man manchmal an den Punkt zu denken: „Alles Reden und alle Erklärungen machen doch gar keinen Sinn, bringen doch nicht weiter." Das mag sein. Das liegt aber nicht an der Bedeutungslosigkeit von Worten. Das liegt daran, dass man das Zauberwort noch nicht gefunden hat, das das Tor zur Freiheit zu öffnen vermag.
(Alle buddhistischen Zitate aus ‚Paul H. Köppler: So spricht Buddha')