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Achtsamkeit & Meditation

Zen-Koans können einsam machen. Oft fehlt der Austausch. Nur die Zen-Lehrenden hören sich regelmäßig die Lösungsvorschläge an. Nun probieren vereinzelt Zen-Lehrer ein Format aus, in dem man gemeinsam die rätselhaften Geschichten betrachtet. Ein Selbstversuch.

Zen-Koans können einsam machen. Oft fehlt der Austausch mit anderen Zen-Lernenden. Wochenlang kauen die Zennies auf ihren rätselhaften Geschichten herum. Nur die Zen-Lehrer hören sich regelmäßig ihre Lösungsvorschläge an. Nun probieren vereinzelt Zen-Lehrer ein Format aus, in dem man gemeinsam die rätselhaften Geschichten betrachtet. Ein Selbstversuch.

Im Zen-Zentrum der Altbäckersmühle gab es ein interessantes Programm. Unter dem Titel „Koan Betrachtungen“ konnte man sich COVID-bedingt per Video am Computer zu gemeinsamen Sitzungen treffen. Neunzig Minuten sind pro Runde angesetzt. Keine lange Anfahrt. Ich melde mich an.

Auf dem Bildschirm des Rechners ploppen zur angesetzten Zeit die Fenster mit den Teilnehmenden auf. Sie sitzen in ihren Wohn- oder Arbeitszimmern, im Lotussitz oder am Tisch. Eine bunte Mischung aus etwa zehn Leuten – wohl alle mit Meditationserfahrung. Einige kommen aus der Schweiz, aus Berlin oder Hamburg. Ich bin zum ersten Mal dabei. Hokai Österle, der Zen-Lehrer, sitzt zu Füßen einer Skulptur von Manjushri, dem Bodhisattva der Weisheit.

Nach einer kurzen Begrüßung stellt die Zen-Lehrerin Ursula Kogetsu Richard gemeinsam mit Hokai Österle das Konzept der Koan-Betrachtungen vor. Die Idee stamme aus den USA und werde dort schon länger praktiziert. Statt einsame Treffen im Dokusan, im Gespräch unter vier Augen, gibt es hier ein gemeinsames Koan, in das sich alle zusammen vertiefen können. Ursula Kogetsu Richard sagt, dass es in diesen kurzen Runden darum gehe, sich „mit dem Koan vertraut zu machen, in Resonanz mit den verschiedenen Aspekten des Koans zu gehen“. Dann sind die Teilnehmer aufgefordert, „sehr spontan auszudrücken, welche Bilder und Assoziationen es in ihnen wachruft“. Das Spannende ist, welche Dimensionen die anderen beitragen.

Im chinesischen Chan bzw. japanischen Zen hat man seit Jahrhunderten diese kurzen Lehrdialoge zwischen Zen-Lehrenden und oder ihren Schülern genutzt. Sie dienen der Unterweisung auf dem Weg zum Erwachen. Man hat die Geschichten aufgeschrieben und in Sammlungen überliefert. Eine Sammlung heißt beispielsweise „Mumonkan“, übersetzt: „Das torlose Tor“ oder „Hekiganroku“: „Die Niederschrift vom blauen Felsen“. Viele Meister haben die Koans kommentiert.

Manche Schüler sitzen monatelang an ihrem Koan und versuchen, die Essenz der Geschichte zu verinnerlichen. Das heißt dann in den entsprechenden Zen-Schulen, viele Stunden lang auf dem Kissen und im Alltag das Koan wenden und ab und an der Lehrerin oder dem Lehrer eine Lösung präsentieren. Es geht nicht um ein intellektuelles Erfassen, sondern um ein ganzheitliches Verstehen und Durchleben. Über seine Koans soll man nicht mit anderen sprechen.

Unsere Koan-Betrachtung geht nun so: Wir lauschen dem Dialog aus einem Koan. Dieses stammt aus einer neuen Sammlung, in der Frauen als Lehrerin oder Schülerin agieren oder zum Erwachen kommen. Die Kommentare dazu geben Zen-Lehrerinnen aus dem 21. Jahrhundert. Nach einer kurzen Meditation von zehn Minuten können die Zuhörenden ihre persönlichen Assoziationen vortragen. Was ihnen durch den Kopf geht. Aber keiner solle sich auf den Vorgänger beziehen oder kommentieren, was andere gesagt haben. Sonst würde das Koan zerredet.

Koans

Wenn man etwas sagen will oder mit seinem Beitrag am Ende ist, legt man kurz die Hände vor der Brust zusammen und verbeugt sich. Das geht am Bildschirm sehr gut, ohne dass man sich umständlich melden muss. Es erfordert nur etwas Geduld. Dann stellt die Zen-Lehrerin diese Koan-Geschichte vor:

Die alte Frau von Berg Wutei

Eine alte Frau lebte an der Straße, die zum Berg Wutei führt. Ein Mönch auf Pilgerreise fragte sie: „Welches ist der Weg zum Wutei?“ Die alte Frau sagte: „Einfach immer geradeaus.“ Der Mönch ging ein paar Schritte, und sie sagte: „Er ist ein guter Mönch, aber schon verläuft er sich wie alle anderen.“ Viele Mönche kamen, stellten die gleiche Frage und erhielten die gleiche Antwort. Später erzählte ein Mönch Zhaozhou, was geschehen war. Und Zhaozhou sagte: „Ich werde hingehen und mir diese alte Frau einmal selbst näher ansehen.“ Am nächsten Tag suchte Zhaozhou die alte Frau auf und fragte: „Welches ist der Weg zum Berg, Wutei?“ „Einfach immer geradeaus“, entgegnete sie. Zhaozhou ging ein paar Schritte. Die alte Frau sagte: „Er ist ein guter Mönch. Aber schon verläuft er sich wie alle anderen.“ Zhaozhuo kehrte ins Kloster zurück und sagte zu den Mönchen: „Ich habe mir für euch die alte Frau vom Berg Wutei einmal näher angesehen.“

Das verborgene Licht – 100 Geschichten erwachter Frauen aus 2500 Jahren, betrachtet von (Zen-)Frauen heute. Von Florence Caplow und Susan Moon, Hrsg.

Es gibt noch einige Erläuterungen, und dann schlägt Hokai kurz die Klangschale. Wir meditieren ca. zehn Minuten über das Koan. Ich schließe die Augen. Durch meinen Kopf rattert die Koan-Geschichte: „Wieso sagt die Frau allen Pilgern das Gleiche, dass sie sich immer verlaufen?“ Ich rufe mir die Worte in die Erinnerung. „Guter Mönch … aber egal, er wird sich sowieso verlaufen.“ Was meint sie? Wir verlaufen uns ja alle immer wieder. Kein Weg ohne Irrtümer. Schließlich dämmert mir, es geht nicht um den äußeren Weg, sondern den inneren Weg. Verlaufe ich mich ständig und komme vom Weg ab und ist das vielleicht auch genau so richtig? Dooooong. Der Gong der Klangschale holt mich zurück. Alle verbeugen sich kurz. Ursula Kogetsu Richard liest die Geschichte noch einmal vor und dazu einen Kommentar einer Zen-Lehrerin. Dann darf, wer will, seine Assoziationen mitteilen. Fasziniert höre ich zu, erfahre ganz andere Blickwinkel.

YoEn Auriau, selbst Zen-Lehrerin, macht den Anfang. Für sie ist die alte Frau am Berg Wutei wie eine Traumfigur, die nicht recht fassbar sei. „Sie steht für mich auch für all die weisen Menschen. Die einem manchmal auf eine ungewöhnliche Art helfen wollen“, sagt sie. „Doch erst durch die Erfahrung erkennen wir, was eigentlich die Message war, was die uns sagen wollten.“ So würden Hinweise oft erst im Nachhinein erschlossen, weil die Erfahrung noch fehlte.

Auch die Zen-Praktizierende Marion Sperling teilt ihre Gedanken in der Runde. Sie sagt sinngemäß, dass niemand einem Suchenden die Irrwege abnehmen könne. Sie gehörten dazu. „Weil mache ich exakt das, was mir jemand auferlegt hat, dann gehe ich den Weg nach, den jemand anderes gegangen ist. Und finde darüber nicht meinen eigenen Weg.“ Die Spannung sei aber, offen zu sein, um das Passende aufzunehmen und in den Weg zu integrieren.

Nach den zum Teil sehr umfangreichen Erläuterungen von Hokai und Ursula löst sich in mir etwas. Ich bin überrascht, wie sehr mein Kopf darin geübt ist, Dinge passend zu machen. Die weise Frau, die recht haben musste. All meine erlebten Irrwege, die im Zuhören angetippt werden. Schließlich hören wir am Schluss das Koan noch einmal. Nach einer abschließenden Meditation verabschieden wir uns schweigend mit einer Verbeugung. Die Geschichte hinterlässt einen langen Nachhall in meinem Kopf.

Später frage ich Ursula Kogetsu Richard, wie verbreitet diese Koan-Gespräche sind. Sie kennt die Koan-Betrachtungen aus den USA. In Europa gibt es nur vereinzelt Zen-Gruppen, die solche gemeinsamen Betrachtungen vornehmen, in Nürnberg oder Romiti/Rigi in der Schweiz.

Richard schätzt besonders, dass auf die „Weisheit der Gruppe“ vertraut wird. „Dass wir in einem weitgehend hierarchiefreien Raum agieren und den weiter ausloten.“ Man könne auch mit anderen Formaten experimentieren. „Das Wichtigste scheint mir zu sein“, sagt Richard, „offen zu sein, wenn ich das Koan höre und in mich hineinhöre. Und das, was sich an Resonanz zeigt, auch auszudrücken.“ Und beim tiefen Zuhören der anderen alles Beurteilen draußen zu lassen. Alle Aussagen sind gleichwertig. Für mich waren diese Koan-Geschichten lange präsent. Sie stellten eine Verbundenheit mit der Gruppe her. Es war auch ein Türöffner in eine andere Welt.

Der Begriff „Konan“

Ein Koan, jap. 公案; chinesisch 公案, wörtl. „Öffentlicher Aushang“, ist im chinesischen Chan- bzw. japanischen Zen-Buddhismus eine kurze Anekdote oder ein Satz, der auf den ersten Blick meist vollkommen paradox, unverständlich oder sinnlos erscheint. Die Methode besteht darin, dass ein Lehrer oder eine Lehrerin einem Schüler ein Koan zur Lösung aufträgt. 

Ein Beispiel für die Räselhaftigkeit ist das berühmte Koan „Mu!“ Die Frage ist: „Hat der Hund Buddha-Natur?“ Die Antwort lautet „Mu!“ „Nein, nichts.“ Nun haben nach der Mahayana-Lehre alle Wesen Buddha-Natur. Es handelt sich um die Vorstellung, dass alle Lebewesen die Fähigkeit haben, ein Buddha zu werden. Die Frage und die Antwort bilden zusammen ein Paradox. Der Lehrer oder die Lehrerin sieht an der Antwort den Fortschritt des Schülers. Das Koan gilt als gelöst, wenn der Schüler einen tiefen Einblick in bestimmte Aspekte des Koans gewonnen hat.


Dieser Artikel erschien in der Ursache\Wirkung №. 117: „Meditation"

UW117 Cover


Weitere berühmte Koans sind:

„Wie klingt das Klatschen einer Hand?“

„Wer warst du, bevor deine Eltern geboren wurden?“

Angebote für Koan Übungen/Gespräche in Gruppen

Ursula Kogetsu Richard
Bietet in unregelmäßigen Abständen in Berlin oder der Altbäckersmühle Koan Gespräche an.
Berlin: www.edition-steinrich.de
Altbäckersmühle: www.zen-zentrum-altbaeckersmuehle.de

Mechthild Klein ist freie Journalistin, unter anderem für den Deutschlandfunk, mit Schwerpunkt Weltreligionen. Im Studium der Vergleichenden Religionswissenschaft und Orientalischen Kunstgeschichte in Bonn hat sie sich auf Buddhismus und Hinduismus spezialisiert.

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Mechthild Klein

Mechthild Klein

Mechthild Klein ist freie Journalistin, unter anderem für den Deutschlandfunk, mit Schwerpunkt Weltreligionen. Im Studium der Vergleichenden Religionswissenschaft und Orientalischen Kunstgeschichte in Bonn hat sie sich auf Buddhismus und Hinduismus spezialisiert.
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