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Achtsamkeit & Meditation

Ein weltweites Netzwerk von Zen-Peacemakers veranstaltet einmal im Jahr ein Zeugnis-Ablegen-Retreat in Auschwitz. Ein Beitrag zu Verständigung und Frieden in der Welt.

„Bereit sein, sich einzulassen“ - Zeugnis-Ablegen-Retreat in Auschwitz – wie Monika Winkelmann das erlebt hat.
„Zu meinem ersten von sechs Zeugnis-Ablegen-Retreats im ehemaligen Konzentrationslager Auschwitz habe ich mich 2010 angemeldet. Bernie Glassman nannte diese Tage in Auschwitz, die jeweils am Montag in der Früh in Krakau mit einem schweigenden Auszug aus der Stadt zu den Bussen begannen, ‚Plunges‘. Auf Deutsch könnte man dazu Sprung oder Sich-Stürzen sagen. Für jeden Teilnehmer ist es ein Sturz ins Nichtwissen.

Ohne Voreingenommenheit, ohne Absichten und ohne auf das Ergebnis zu schielen, bin ich bereit, mich voll und ganz auf die Situation einzulassen. Ich will sowohl die Schreie wie das Heilsame wahrnehmen. Ich verlasse während des Retreats meine Komfortzonen immer wieder aufs Neue.

Auschwitz war nie nur für diejenigen da, die durch ihre Lebensgeschichte als Betroffene oder Nachfahren mit dem konkreten Vernichtungslager verbunden sind. Bernie Glassman betont immer wieder, dass Auschwitz auch für alle anderen Orte in der Welt, an denen Genozide und extreme Gewalt stattgefunden haben, steht. So kam es, dass in der großen Gruppe von Teilnehmer und Teilnehmerinnen viele Nationalitäten vertreten sind, darunter zahlreiche Juden, wenige Deutsche von Täterseite, auch Menschen aus Ruanda oder Angehörige indianischer Stämme sowie Palästinenser und Sinti. Wir beten alle gemeinsam und lauschen den Beträgen über das immense Leid, das den Familien angetan wurde und das sie als Kollektiv erfahren haben.
AuschwitzDas Retreat bedeutet für mich: Trauern dürfen fünf Tage lang, aber auch vor und nach der Reise nach Auschwitz. Die Konfrontation mit starken eigenen Gefühlen und Gedanken und auch die Emotionen der anderen Teilnehmer zu spüren und mit ihnen auf Tuchfühlung zu gehen.

In täglichen Zeremonien rezitieren wir die Namen der Ermordeten und geben ihnen so ihr Antlitz, ihre Kostbarkeit zurück. Es gibt lange Gehmeditationen in „edlem Schweigen“, auf den Schienen und um die Ruinen der Gaskammern herum. Im Kreis stehend sprechen wir das Kaddish, das jüdische Totengebet. Wir beten in allen Sprachen der Anwesenden. Augenzeugen, die überlebt haben, lassen uns an ihren Erinnerungen teilhaben. So geschieht langsam, unmerklich, manchmal in Sprüngen eine Transformation. Juden, Deutsche, Palästinenser und die vielen anderen Teilnehmenden umarmen einander, halten sich im Schmerz in ihrer tiefen Berührtheit und Verbindung. Die Membran zu den Toten wird manchmal sehr dünn, sodass man sie zu hören vermeint. Auch die Mörder auf den Türmen, an der Rampe kann man hier und da spüren. Manchmal wird auch für die Vorfahren einiger deutscher Teilnehmer von der Täterseite laut gebetet. Ist das richtig, fragen sich einige Freunde. Wie kann es anders sein, sagen andere. Versöhnung in Auschwitz: Ein Weg, kein Ziel. Frieden ist ein Geschenk, für den wir den Boden definitiv bereiten können.

Heute kann ich über Auschwitz sprechen. Ich sehe heilsame Bilder vor mir, und ich zähle Juden zu meinen Freunden. Gespräche in meiner Familie und in meiner Zen-Gruppen über die Vergangenheit sind möglich. Es tat einigen einfach gut, dass ich stellvertretend für eine ganze Reihe von Zeitgenossen Zeugnis abgelegt habe. Ich habe mehrmals still und auch laut um Verzeihung gebeten. Die Dialoge und Kreisgespräche während des Retreats in der großen internationalen Gruppe tragen zu meinem Frieden bei.
 


Dieser Artikel erschien in der Ursache\Wirkung №. 112: „Für eine bessere Welt"

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Das Konzentrationslager von Auschwitz in Polen ist ein Ort von himmelschreiender Not und gnadenloser Vernichtung. An diesem Platz nach Versöhnung, Verbundenheit sowie Mitgefühl zu suchen, um Frieden und Heilung zu finden, möchte der Zen-Peacemaker-Orden mit seinen Zeugnis-Ablegen-Retreats erreichen. Seit mehr als zwanzig Jahren findet jeden November im Vernichtungslager in Auschwitz ein Zeugnis-Ablegen-Retreat statt.

Bernie Glassman, der vor zwei Jahren verstorbene amerikanische Zen-Priester, gründete in den 1990er-Jahren den Zen-Peacemaker-Orden, ein spirituelles Netzwerk, das sich für Frieden und Gerechtigkeit einsetzt. Seitdem ist die Gemeinschaft stark gewachsen und in der Zwischenzeit weltweit vertreten. Die Mitglieder unterstützen humanitäre sowie soziale Projekte und leisten einen Beitrag zur Friedensstiftung. Alle Religionen und buddhistische Traditionen sind willkommen.

Bernie Glassman hat drei Grundsätze genannt, nach denen die Zen-Peacemakers agieren: Nichtwissen, Zeugnisablegen und Handeln. Nichtwissen bedeutet so viel wie das Loslassen von konkreten Vorstellungen über sich selbst, über andere und die Welt. Zeugnisablegen steht für das Erkennen von Leiden und Freude in der Welt. Aus diesen beiden Grundsätzen sollten dann liebevolle Taten, also das Handeln aus Verbundenheit, folgen. Und so sind die Zen-Peacemaker ein gelebtes und bekanntes Beispiel von engagiertem Buddhismus. Meditation sollte nicht dafür genutzt werden, dem Treiben auf der Welt zu entfliehen, sondern sich für die Gesellschaft einzusetzen.

Zeugnisablegen bedeutet: schweigend an der Selektionsrampe nahe bei den Schienen sitzen, die Namen der Verstorbenen rezitieren, in den Baracken beten, im Gedanken an die Ermordeten das Gelände erfassen sowie Gespräche in Gruppen, um die Gedanken und das Erlebte zu teilen. „In Auschwitz bin nicht ich der Lehrer, sondern der Ort selbst ist der Lehrer. Und er ist ein unerbittlicher Lehrmeister, der Menschen in Situationen führt, in denen sie gar nicht anders können als zu lernen und zu verstehen. Die Menschen, die nach einer Woche Auschwitz verlassen, sind nicht mehr dieselben wie zuvor“, erklärt Bernie Glassman im Buch mit dem Titel „Es geht ums Tun und nicht ums Siegen“. Menschen aus aller Welt, Juden, Christen, Buddhisten, Opfer, Nachfahren der Täter – alle verbringen die Tage gemeinsam, um nach Frieden zu suchen und Versöhnung zu finden.
 
 
Monika Winkelmann, geboren 1952, Mutter einer erwachsenen Tochter, geschieden seit 2019, hat 1980 mit 28 Jahren ihr erstes Meditationswochenende in Hamburg besucht. Diese tiefgreifende Erfahrung sowie ihr Leben als Alleinerziehende der Tochter Lisa, geb. 1984, bewirkten, dass sie viele Jahre alleine praktizierte und ihr Schreiben intensivierte.
 

Fotos © Mikko Iljäs
Monika Winkelmann

Monika Winkelmann

Monika Winkelmann, geboren 1952, Mutter einer erwachsenen Tochter, geschieden seit 2019, hat 1980 mit 28 Jahren ihr erstes Meditationswochenende in Hamburg besucht. Diese tiefgreifende Erfahrung sowie ihr Leben als Alleinerziehende der Tochter Lisa, geb. 1984,  bewirkten, dass sie viele Jahre a...
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