Selbstfürsorge hat körperliche, geistige und zwischenmenschliche Aspekte. Sie zu entdecken ist eine Herausforderung in der modernen Leistungsgesellschaft.
Selbstfürsorge ist doch ziemlich egozentrisch, oder? Ständig um sich selbst kreisen: Braucht der Mensch nicht etwas anderes in diesen gefährlichen Zeiten?
Solche Einwände hört man immer wieder, wenn die Rede auf Selbstfürsorge kommt, denn ein Mensch, der gut für sich sorgt, gilt als auf sich selbst bezogen. Das ist keine Einzelmeinung, sondern spiegelt die Einstellung in der modernen Gesellschaft wider. Was in unseren Breiten gilt: Wertvoll ist, wer viel leistet. Wenig Anerkennung gibt es dagegen für eine Eigenschaft, die man als Selbstwert definieren könnte. Zufriedenheit mit sich selbst wird nicht nur selten thematisiert, sondern auch wenig honoriert.
Daraus ergibt sich ein Widerspruch: Einerseits gibt es den gesellschaftlichen Anspruch, das Beste aus sich selbst zu machen, also gesund und erfolgreich zu sein, andererseits verausgaben sich viele mit diesem Leistungs- und Perfektionsanspruch. Das Resultat: Erschöpfung. Viele kommen erst im Burn-out zu sich, vorher gesteht sich der moderne Leistungsbürger eigene Befindlichkeiten erst gar nicht ein.
Um dem entgegenzuwirken, habe ich eine Methode namens Self Care (Ulrike Scheuermann: ‚Self Care – Du bist wertvoll: Das Selbstfürsorge-Programm‘. Knaur Balance / Argon Hörbuch, 2019) entwickelt. Es ist ein ganzheitlich geprägter Ansatz, der Medizin, Psychologie, Philosophie und Spiritualität verbindet. Die Kernbotschaften: Den eigenen Körper lieben lernen. Gefühle wahrnehmen und ausreifen lassen. Genug schlafen. Sich ein gutes Umfeld schaffen. Annehmen, was ist. Die eigene Spiritualität entdecken. Und: Die Beziehungen zu anderen Menschen pflegen.
Seit fast 80 Jahren führt die Universität Harvard in den USA regelmäßige Untersuchungen zum Thema Glück in einer Langzeitstudie durch. Die zentrale Erkenntnis dieser sogenannten Grant-Studie: „Gute Beziehungen machen uns glücklicher und gesünder“, so Studienleiter Robert Waldinger. Als Psychiater kann er aus den Daten sehen, dass Menschen, die mit ihrer Familie oder mit Freunden in einer guten Gemeinschaft leben, nicht nur glücklicher, sondern auch gesünder sind – und sogar länger leben. Im Gegensatz zu Menschen, die zum Beispiel ungewollt einsam sind. Was Gemeinschaft heißt? Füreinander da sein, einander zugetan sein und sich aufgehoben fühlen.
Allein: Beziehungen zu führen ist nicht immer einfach. Wer immer wieder in Konflikte mit anderen gerät, sollte sich vor allem mit sich selbst auseinandersetzen und wenn das allein zu schwer ist, psychologische Hilfe in Anspruch nehmen. Denn viele Unstimmigkeiten haben unbewusste Wurzeln. Menschen tendieren dazu, Gefühle zu verdrängen, Unangenehmes auf andere zu übertragen und andere zu Stellvertretern der eigenen Probleme zu machen. „Was hat das, worauf ich beim anderen reagiere, mit mir zu tun?“ kann zu einer Schlüsselfrage für Self Care werden. Denn sich selbst zu kennen und zu verstehen ist die Basis von guten Beziehungen zu anderen.
Das Ideal des entspannten Zusammenseins hat in Dänemark sogar einen Namen und wird ‚Hygge‘ genannt. Es ein Zusammenkommen ohne Leistungsdruck und ohne dass sich Menschen miteinander vergleichen. Was simpel klingt, kann schwierig sein. Denn in der westlichen Gesellschaft ist oft auch das Zusammensein mit Leistungsstress verbunden. Alles soll perfekt vorbereitet sein, bevor die Gäste kommen, Gastgeber fühlen sich verantwortlich für den harmonischen Verlauf eines Treffens. All das ist nicht ‚hygge‘. In Dänemark freut man sich über das bloße Beieinandersein. Man hört zu, statt zu diskutieren.
Dieser Artikel erschien in der Ursache\Wirkung №. 108: „Anleitung zum Glücklichsein"
Aber auch gesunde Lebensführung ist ein wichtiger Baustein der Selbstfürsorge. Es gibt zahlreiche Studien, die zeigen, wie sehr Lebensstiländerungen dazu beitragen können, nicht nur Depressionen zu lindern, sondern generell die Stimmung aufzuhellen und emotional stabiler und gelassener zu werden. Bewegung, das zeigt sich zunehmend deutlicher, ist dabei essenziell, mit mindestens drei Mal pro Woche Sport, am besten in der freien Natur. Ebenso sind gesunde, möglichst pflanzenbasierte Ernährung, täglich eine halbe bis zwei Stunden Tageslicht und tiefe Dunkelheit in der Nacht Bausteine der Selbstfürsorge. Und ausreichend Schlaf. Das ist nicht egozentrisch, sondern die Grundlage für ein gutes Leben sowie die Sorge für die Mitmenschen und die Umwelt.