Wie es ist, mitten im Wald die Essenz des eigenen Mannseins zu entdecken. Ein Erfahrungsbericht zum Seminar ‚Men in the Woods‘.
Das Mannsein erscheint gerade in keinem guten Licht. Sei es durch Übergriffe in der Familie oder Ausnutzung eines Machtverhältnisses oder das dominante, aggressive Auftreten vieler Politiker. Wir sehen kopfschüttelnd zu, bis wir nicht einmal mehr den Kopf schütteln, weil es zur Normalität geworden ist.
Doch selbst aktiv zu werden und mich dem Männerthema zu widmen, kam mir noch lange nicht in den Sinn. Dafür konnte ich beobachten, wie in den sozialen Medien vermehrt Angebote für Frauenkreise auftauchten. Den Wunsch nach Verbindung zur Urkraft der Frau, wo Heilung und Kreativität ihren Ursprung haben, empfand ich als wichtigen Gegenpol zum patriarchischen System.
Im März letzten Jahres stieß ich auf eine Anzeige von ‚Men in the Woods‘, eines von Nico Tonisch geleiteten viertägigen Seminars für Männer auf der Suche nach der Essenz des Mannseins. Ich konnte mir damals nicht genau vorstellen, was wir Männer auf so einem Seminar machen würden, doch die Beschreibung klang abenteuerlich: am Feuer sitzen, Geschichten erzählen, in den Wald gehen, Holz hacken ...
Mir war klar, dass dies kein klassischer Ausflug in die Natur sein und diese Reise für mich tiefer gehen würde, als es bei bloßer Lagerfeuerromantik der Fall sein könnte. Mit der Anmeldung zum Seminar bekam ich von Nico ein 20-seitiges E-Book rund um das Thema Männlichkeit. Ich fand es sehr großzügig und hilfreich, schon vorab ein Arbeitsbuch zu bekommen, denn ein wichtiger Teil des Prozesses beginnt vor dem eigentlichen Seminar.
In seinem E-Book beschreibt Nico die vier männlichen Archetypen König, Krieger, Magier und Liebhaber und stellt die Frage, mit welchen Anteilen ‚Mann‘ sich in ihnen wiederfindet. In einer unreifen Männlichkeit kommen die Schattenseiten des jeweiligen Archetyps ans Tageslicht, und ich fand es sehr interessant, dass sie bipolar sind, das heißt, in einer aktiven und einer passiven Ausprägung existieren und – am Beispiel des Königs – entweder den Tyrannen oder den Schwächling hervorbringen. Bei ‚Men in the Woods‘ beschäftigen wir uns mit drei Kernfragen: Woher komme ich? Wer bin ich als Mann? Was will ich in die Welt bringen?
Mit diesen Fragen eng verknüpft ist der Einfluss unserer Väter und Großväter. Ich nahm mir die Zeit, um mit meinem Vater über die Rolle der Männer in meiner Familie zu sprechen und wie Verhaltensmuster von einer Generation an die nächste weitergegeben werden. Es war das erste Mal in 45 Jahren, dass ich mit ihm darüber geredet habe, und es brachte mir wichtige Einsichten und die Gewissheit, von meinem Vater in der Mann-Findung unterstützt zu werden.
Im Grunde ein Abenteuer
Die Anreise ins Wechselgebirge, wo das Seminar stattfand, war schon ein Erlebnis für sich. Ich konnte spüren, wie mich die Umgebung nährt und zur Ruhe bringt, und als ich mich am Windhof einfand, fühlte ich mich auch innerlich angekommen.
Unser ‚Seminarraum‘ war ein Tipi, ein schlichtes Indianerzelt mit einer Feuerstelle in der Mitte, um die wir auf dem Boden im Kreis saßen. Jeder der Teilnehmer war eingeladen, einen für ihn bedeutungsvollen Gegenstand mitzubringen. Diese Kraftsymbole lagen neben dem Feuer auf einem kleinen Altar. Die Zeit im Tipi war kraftvoll. Das Feuer wärmte und es war zu spüren, dass jeder Teilnehmer eine Geschichte mit sich trug, die ihn hierhergebracht hatte. Ein aus indianischer Tradition übernommenes Ritual ist der Redestab, und wer ihn hält, darf sprechen oder schweigt, hat jedenfalls die Aufmerksamkeit der anderen Männer. Das hilft dabei, das Zuhören zu kultivieren, und derjenige, der den Redestab hält, spricht vom Herzen und spricht, was wesentlich ist. Am ersten Abend saßen wir bis spät in die Nacht im Tipi. Die Männer waren müde und meldeten sich kaum mehr zu Wort. Als ich mich zu einem Zeitpunkt mitteilen wollte, fühlte ich mich gehemmt und gleichzeitig eine Verzweiflung, mich nicht ausdrücken zu können. Als ich meine Verzweiflung in der Runde teilte, empfahl mir Nico, dieses Gefühl mit einem Scheit Holz dem Feuer zu opfern. Ich tat es und konnte spüren, wie sich daraufhin der Knoten in meinem Hals langsam löste.
Sehr bewegend war für mich das gegenseitige Anlegen von Gipsmasken. Es war das letzte Ritual des ersten Abends und trotz Müdigkeit waren wir alle sehr konzentriert und mit dem Herzen dabei. Eine Maske steht symbolisch für unsere Rolle und unsere Identität im Leben, die wir mit viel Aufwand aufrechterhalten. Sei es im Beruf oder im sozialen Umfeld, wir wollen uns auf eine bestimmte Weise zeigen, die aber nicht unserem innersten Wesen entspricht.
Als mir die Maske angelegt wurde, sind mir mehrere Aspekte aufgefallen. Ich spürte durch den feuchten Gips das Gewicht der Maske als eine Last, die es erschwert, mich zu zeigen. Als der Gips zu trocknen begann, war das Gefühl hinter der Maske sehr beengend und erlaubte keine Bewegung im Gesicht. Ich fühlte mich unterdrückt und war darüber traurig. Nachdem die Maske trocken war, nahm ich sie vorsichtig ab, und als ich mein Abbild ansah, spürte ich einen Stich in der Magengrube. Ich fühlte den unsicheren Jungen in mir, dem ich entgegen meinen Befürchtungen gänzlich angstfrei begegnen konnte. Meine Fragilität und meine Verwundbarkeit waren mir nicht unangenehm, ganz im Gegenteil, ich konnte sie ruhig und bewusst erleben.
Am nächsten Tag kamen viele Emotionen hoch, vor allem Trauer und Schmerz, jedoch keine Angst davor, sie zu spüren. Im Gegenteil, diese Gefühle hochkommen zu sehen, war wunderschön und erlösend.
Der Hauptpunkt des zweiten Tages war eine Visionssuche. Nach dem gemeinsamen Essen im Freien wurde uns erklärt, worauf wir dabei achten sollten. Danach sprach jeder Teilnehmer laut seine Absicht aus, mit der er zu seiner Visionssuche in den Wald ging. Bei dieser Suche lässt man sich von seiner Intuition führen. Dadurch kommt man in Kontakt mit der Natur und erhält Hinweise und Antworten auf seine Fragen.
Als sehr berührend empfand ich das anschließende Spiegeln, bei dem das Erlebte, nachdem es vom Teilnehmer erzählt worden ist, im Anschluss von einem Betreuer in der dritten Person nacherzählt wird. Dieser kleine Perspektivenwechsel zeigte mir, worauf ich in meiner Erzählung Wert legte, und erlaubte mir, mich selbst neu wahrzunehmen. Wir erzählen uns selbst andauernd unsere eigene Geschichte, die allerdings von Selbstlob bis Selbstkritik eingefärbt ist. Die Geschichte von außen zu hören, brachte einen Riss in meine Selbstwahrnehmung und das half mir, Mitgefühl für mich selbst zu empfinden.
In der zweiten Nacht sollten wir nur mit einer Isomatte als Unterlage und einem Schlafsack ausrücken und die Nacht im Wald beziehungsweise im Freien verbringen. Ich wurde von dieser Aufgabe überrascht, weil ich erst kurz vor der Dämmerung davon erfuhr. Es kostete mich ein wenig Überwindung, mich darauf einzulassen, doch meine Erfahrung war sehr lohnend. Mit den Geräuschen des Waldes einzuschlafen und aufzuwachen ließ mich eine tiefe Verbundenheit mit der Natur spüren. Ich dankte Mutter Erde für meinen Schlafplatz und meine Erfahrung und ging zurück zu unserem Camp. Dieses Erlebnis prägte mich und seither habe ich oft das Gefühl, in der Natur eine andere Welt zu betreten.
Gemeinschaft erleben
Am letzten Tag stand eine Schwitzhütte auf dem Programm – ebenfalls ein altes, traditionelles Ritual der Indianer zur Transformation, das dank seiner Intensität wie Tod und Neugeburt beschrieben wird. Die Hütte selbst ist eine einfache Holzkonstruktion, ähnlich einem Iglu, die mit Decken abgedeckt wird, um die Hitze im Inneren zu halten. In der Mitte der Hütte ist ein Loch von etwa einem Meter Durchmesser, in das während der Prozedur heiße Steine gelegt werden. In mehreren Durchgängen kommen immer mehr Steine in das Loch, die anschließend mit Wasser übergossen werden.
Das Ritual wurde vom Hausherrn des Windhofs, Hannes Langer, geführt. Es schien mir, als wäre er dafür geboren worden, diese Rituale abzuhalten. Mit seinem Gesang und den Gebeten half er uns, diese reinigende Erfahrung durchzustehen.
Dieser Artikel erschien in der Ursache\Wirkung №. 109: „Angst überwinden"
Am Ende des Seminars saßen wir in einem letzten ‚sharing circle‘ beisammen und teilten unsere Erfahrungen miteinander.
Neben der Zeit als Gruppe im Tipi und den Zeiten allein in Abgeschiedenheit gab es viele schöne Gespräche mit den anderen Männern. Dabei erkannte ich, dass unsere Geschichten sich letzten Endes nicht so stark unterscheiden. Die Themen können zwar unterschiedlich sein, aber ich sehe in den meisten von uns einen Jungen, der in seiner Entwicklung zum Mann noch feststeckt, weil er es von niemandem gelernt hat. Die Qualitäten des Mannseins – natürlich eine Frage, mit der wir uns beschäftigt haben – sind nicht die in den Medien transportierten Klischees vom starken Mann, der keine Gefühle zeigt.
Unser Mannsein will geprägt sein von Wahrhaftigkeit, Verbindlichkeit, dem Übernehmen von Verantwortung, dem Zeigen von Gefühlen, dem Mitgefühl anderen gegenüber und dem Handeln in einer ruhigen Präsenz.