Es muss einmal gesagt werden: Achtsamkeit steht uns allen grenzenlos zur Verfügung. Die Vorräte sind unerschöpflich. Der Unterschied zwischen alten Hasen und Novizen auf dem Weg der Achtsamkeit besteht nur darin, wie häufig sie sich daran erinnern können, im vollen Gewahrsein zu leben.
Denn Achtsamkeit ist eng verknüpft mit unserem Erinnerungsvermögen. In jenem Moment, in dem wir uns liebevoll erinnern, dass wir doch achtsam sein wollten, sind wir es schon.
Es beginnt am Morgen mit dem ersten verschlafenen Blinzeln: In welcher Körperhaltung wache ich auf? Ahh – der Atem. Er ist immer noch da, obwohl ich jetzt Stunden nicht an ihn gedacht habe. Und mein Herz? Steckt uns noch der vergangene Abend in den Knochen?
Wenn wir ausgeruht sind, gibt es eine kraftvoll-dynamische Bewegung. Los geht’s. Wir sind motiviert, die Dinge anzupacken. Das ist ein angenehmes Gefühl. Um dieses angenehme Gefühl herum können wir uns ins Herz hinein entspannen. Wir vertrauen darauf, dass es seine Kraft entfalten wird, und unterstreichen das mit ein paar Metta-Sätzen zu uns selbst, zu anderen hin. Wir laufen los, erledigen, schaffen, kommunizieren und reflektieren.
Immer wieder erinnern wir uns: Entspanne dich und spüre genau hin. Was macht dein Atem, wie geht es deinem Herzen? Wenn wir uns in innerer Auflehnung, im Widerstand befinden, lenken wir die Aufmerksamkeit ausgleichend auf das annehmende, Raum gebende Empfinden im Körper. Wir gehen nicht in den inneren Kampf, wenden uns nicht gegen den Widerstand. Wir halten inne und klopfen vorsichtig dort an, wo sich Weichheit, Gewähren, Akzeptieren zurückgezogen haben. Ein Aufatmen, ein unhörbarer Seufzer genügen manchmal schon, um wieder einen Millimeter mehr an Vertrauen zu gewinnen, sowohl in uns selbst wie auch in die Menschen um uns herum.
Hundertmal am Tag braucht es diese achtsame Hinwendung zum aufmerksamen Gewahrsein: Entspanne dich, lass los, vertraue. Wo halte ich unnötig fest? Könnte ich noch differenzierter wahrnehmen, was ich in diesem Moment im Körper spüre? Auf welchem Fuß liegt die Belastung beim Stehen? Was passiert in den Schultern, wenn ich am Schreibtisch sitze? Mit welchem Gesichtsausdruck schaue ich vor mich hin? Wir können immer einen Muskel finden, den wir jetzt gerade unnötig anspannen.
Dieser Artikel erschien in der Ursache\Wirkung №. 106: „Handbuch Achtsamkeit"
Mit einem wohlwollend unterstützenden „Entspanne dich noch tiefer“ können wir uns durch den Tag geleiten und so die Kräfte in uns freisetzen, die verwandelnd wirken. Denn die Kontinuität der Achtsamkeit und Entspannung führt zu einer Verdichtung von Bewusstsein, zu einem tieferen Verstehen. Wir fühlen uns klarer anwesend, fühlen uns präsent.
Rückblickend auf den Tag sind wir zufrieden. Es tut wohl, im Einklang mit sich selbst schlafen zu gehen. Die Achtsamkeit ist auch dann noch ständiger Begleiter. Auf welcher Körperseite schlafe ich ein? Kommt der Schlaf beim Einatmen oder Ausatmen? Vielleicht sehe ich sogar die ersten Traumbilder noch halb bewusst, während ich mich mühelos gleiten lasse – in den weiten Ozean des Schlafes hinein.
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