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Achtsamkeit & Meditation
Foto: © Julia Rotter

Die Achtsamkeitspraxis hat neurologische Wirkung: Die Psychologin Britta Hölzel über die Möglichkeiten und Grenzen der Meditationsforschung.

Welche Meditationsformen wurden empirisch untersucht?

Es gab in den 70er- und 80er-Jahren verschiedene Studien zur transzendentalen Meditation, das ist eine Mantra-Meditation. In der letzten Zeit wird die Achtsamkeitsmeditation am intensivsten beforscht. Aber auch die ‚Liebende-Güte-Meditation‘ wird untersucht.

Wieso ist gerade die Achtsamkeitsmeditation so zentral in wissenschaftlichen Studien?

Es ist eine Form, die sehr gut im säkularen Kontext zugänglich ist. Es muss kein Glaubenssystem übernommen werden. Es geht um Aufmerksamkeit, Gewahrsein und Präsenz. Die Achtsamkeitsmeditation passt gut zu unserem Zeitgeist. Im klinischen Kontext hat sie sich als erfolgreich erwiesen. Daher wird auch in den darauffolgenden Studien jene Meditationsform aufgegriffen, die sich als effektiv erwiesen hat.

Können Sie ein Beispiel nennen?

In der Behandlung von wiederkehrenden depressiven Episoden und in der Behandlung von Ängsten erweist sich die Achtsamkeitspraxis als hilfreich. Auch bei chronischen Schmerzen findet sie guten Einsatz. Zudem sehen wir in vielen Studien, dass die Konzentrationsfähigkeit verbessert wird, der Umgang mit Emotionen verändert werden kann und sich das allgemeine Wohlbefinden verbessert.

Hat die ‚Wunderpille Achtsamkeit‘ auch Nebenwirkungen?

Wir raten zur Vorsicht bei psychischen Erkrankungen wie der Posttraumatischen Belastungsstörung, bei Schizophrenie oder auch akuter Depression. Hier empfehlen wir therapeutische Begleitung.


Dieser Artikel erschien in der Ursache\Wirkung №. 102: „Wie Meditation heilt"

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Warum?

In der Achtsamkeitspraxis öffnet man sich für Erfahrungen, wendet sich vielem zu. Da spürt man, wie müde, erschöpft, traurig oder auch ängstlich man ist. Wenn unsere normalen Schutzmechanismen dadurch abgebaut werden, kann sich das zunächst überfordernd anfühlen. Da ist es wichtig, behutsam und mit viel Selbstmitgefühl vorzugehen, sich bewusst Schutzräume zu nehmen und mit der Begleitung eines Lehrers oder in manchen Fällen auch eines Therapeuten vorzugehen. Ein Stück weit ist es aber auch Bestandteil des Weges und der Persönlichkeitsentwicklung. Da muss darauf geachtet werden, wie Erfahrungen in die Persönlichkeit integriert werden können. Wichtig ist es, sich nicht zu überfordern.

Hilft Achtsamkeit im Umgang mit emotionalem Stress oder körperlichen Schmerzen?

Absolut. Bei chronischen Schmerzerkrankungen hat sich die Achtsamkeitspraxis, wie gesagt, als sehr sinnvoll erwiesen. Vor allem die Art und Weise, wie mit dem Schmerz in Beziehung getreten wird, verändert den Grad des Leidens. Der Aspekt des Leidens ändert sich, wenn mehr Akzeptanz herrscht, die Gegenwehr verringert wird. Schmerz verändert sich, wenn man genau nachspürt. Dies trifft auch auf seelischen Schmerz zu, wenn man sich ihm mit Offenheit zuwendet. Wir gehen nicht in den Widerstand gegen die Empfindung, sondern beobachten, nehmen wahr und lassen Gefühle weiterziehen. Das Nicht-haben-Wollen und die Abwehr bringen Schwierigkeiten.

Die Neurowissenschaft gilt als Instanz zur Begründung der Wirksamkeit von Meditation. Wie viel weiß man wirklich?

Es ist ein häufiges Missverständnis, dass die Neurowissenschaft Schlüsse über die Wirksamkeit auf die Gesundheit ziehen kann. Das kann sie auf diese Weise nicht. Wir können noch nicht sagen, welche Veränderungen in der Hirnstruktur tatsächlich wünschenswert wären, sondern schließen nur einiges daraus, indem wir die Veränderungen im Gehirn dann mit den Veränderungen im Befinden in Zusammenhang bringen. Entscheidend ist, ob es den Menschen gefühlt besser geht oder ob sich etwas an ihrem Verhalten und Befinden ändert. Das Geschehen im Gehirn ist unheimlich komplex, die Daten sind noch widersprüchlich. Wir müssen Zusammenhänge mit Gesundheit oder empfundenem Stress untersuchen, um zu verstehen, ob es sich um wünschenswerte Veränderungen handelt.

Meditationsforschung

Wo liegen die Grenzen?

Es gibt noch nicht viele Magnetresonanztomographie-Studien (MRT) zur Meditation. In einer Metaanalyse von Fox und Kollegen, die 2016 veröffentlicht wurde, spricht man von 78 Studien, davon wurden für die Analysen nur 25 aufgenommen, die die strengen methodischen Kriterien erfüllten. Und dann ist der Untersuchungsgegenstand zu komplex, um schnell zu eindeutigen Schlüssen zu kommen. Es gibt ja viele verschiedene Meditationstechniken mit unterschiedlichem Fokus und daher auch mit verschiedenen Effekten. Es kommt darauf an, welche Aufgabe wir den Leuten im Scanner geben und welche Erfahrungen sie mitbringen, womit das Bild sehr komplex wird. Eine Zahl von 25 Studien ist also viel zu wenig, um wirklich aussagekräftige Ergebnisse zu formulieren, da wir so viele Variablen zu berücksichtigen haben.

Was heißt aussagekräftig?

Befunde müssen repliziert werden, um zu wissen, ob es nicht einmalige Befunde sind. Die Metaanalyse fasst aber sehr wohl zusammen, was man bisher weiß. Wir sehen unter anderem Effekte auf Strukturen, die mit Aufmerksamkeitssteuerung in Zusammenhang stehen. Man sieht auch, dass die Insula, ein Bereich im Großhirnlappen, durch die Meditation verändert wird. Sie ist unter anderem zuständig für die introspektiven Wahrnehmungen, also das In-den-Körper-Hineinspüren. Manche Studien zeigen, dass diese Regionen während der Meditation aktiviert sind und gestärkt werden. Was wir aber noch besser verstehen wollen, ist, welche Auswirkungen Meditation und die dadurch verbesserte Innenschau auf den Alltag haben.

Welche Hypothesen zur Meditation haben sich als falsch herausgestellt?

Die Hypothesen von Studien werden oft so geschrieben, dass sie sich bestätigen lassen. Hypothesen, die sich nicht bestätigt haben, wurden bis vor Kurzem kaum veröffentlicht beziehungsweise wurde die Fragestellung neu formuliert. Es findet derzeit aber eine Änderung im Publikationsprozess statt. Immer mehr Journals veröffentlichen auch Studien, bei denen sich die erwarteten Ergebnisse nicht gezeigt haben. Das führt zu mehr Transparenz und Ehrlichkeit im Forschungsprozess.

Wie lange mussten Ihre Probanden täglich meditieren, um aussagekräftige Veränderungen im Gehirn festzustellen?

In unserer Studie, in der wir Veränderungen in der Struktur des Hippocampus durch Zunahme der Dichte der grauen Substanz zeigen konnten, haben die Leute an einem achtwöchigen MBSR-Kurs teilgenommen und im Schnitt täglich 25 Minuten meditiert. Eine Metaanalyse bestätigt auch, dass es einen signifikanten Zusammenhang von Dauer und Wirkung gibt. Er ist aber nicht so stark, wie wir anfangs vermutet hatten.

Was bewirkt diese Zunahme der Dichte der grauen Substanz?

Das ist eine wichtige Frage, die noch nicht ausreichend geklärt ist. Derzeit laufen Studien, um das zu untersuchen. Wir vermuten, dass sie Funktionsverbesserungen der entsprechenden Region unterstützt. Aber welche Effekte das dann jeweils im Verhalten bedingt, ist noch zu klären. Es handelt sich um sehr komplexe Geschehen.

Können diese Effekte auch durch andere Übungen erreicht werden?

Aerobic-Training, Sport oder schulisches Lernen können etwa zu ähnlichen Veränderungen im Hippocampus führen. Auch das Spiel ‚Super Mario‘ hat zu solchen Veränderungen geführt. Eine Gehirnstruktur übernimmt nicht bloß eine abgegrenzte Aufgabe, sondern ist sehr komplex an verschiedenen Verhaltensweisen beteiligt. Der Hippocampus spielt eine Rolle bei Gedächtnisprozessen, bei der Emotionsregulation und auch beim räumlichen Navigieren. Das wurde auch bekannt durch Experimente mit Ratten, die den Weg durch ein Labyrinth finden müssen. Das räumliche Navigieren wird durch dieses Computerspiel geschult. Die strukturellen Veränderungen im Hippocampus standen im Zusammenhang mit der Navigationsstrategie der Spieler. Das bedeutet, dass eine bloße Veränderung im Hippocampus alleine uns noch nicht viel über ihre Relevanz für unser Alltagsleben oder Befinden sagt. Und es verdeutlicht, wie komplex das Geschehen ist.

Schaffen Sie es, in Ihren Alltag eine Achtsamkeitspraxis einzubauen?

Als Mutter und Berufstätige erlebe ich die Achtsamkeitspraxis als umso wichtiger, denn sie erinnert mich daran, mich nicht auszupowern. Es ist verrückt, was wir in unserer Gesellschaft von uns selbst verlangen. Aber es ist auch eine Herausforderung, eine formelle Achtsamkeitspraxis in einem vollen Alltag aufrechtzuerhalten. Da hilft es, eine feste Routine für sich zu etablieren. Es hilft, sich mit anderen Menschen auszutauschen.

Dr. Britta Hölzel ist Psychologin, Neurowissenschaftlerin, Yogalehrerin und Achtsamkeitsexpertin. Sie forscht unter anderem an der Harvard Medical School in Boston und untersucht die neuronalen Mechanismen der Achtsamkeitsmeditation mittels MRT-Aufnahmen
 
Foto © Julia Rotter
Katharina Kleinrath

Katharina Kleinrath

Katharina Kleinrath lebt in Wien und hat Religionswissenschaften mit Schwerpunkt Indologie an der Universität Wien absolviert und mehrere Jahre Seminare zu den Weltreligionen, zu Achtsamkeitsmeditation sowie den Masterlehrgang „Spirituelle Begleitung in der globalisierten Gesellschaft“ an der D...
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