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Achtsamkeit & Meditation

Wir mögen mitfühlend, mitfreudig, liebevoll und gleichmütig sein. Dazu hat uns der Meister vor zweieinhalbtausend Jahren aufgefordert. Wie ein Weg dahin aussehen könnte. 

Wir schlafen, hat er gesagt, wir mögen aufwachen, wie er. Und die Tatsachen des Lebens erkennen, so wie er. Wir seien alle in Illusion gefangen.
Ich selbst habe Buddhas Worte ernst genommen und beschlossen, ja, ich möchte ein Buddha werden.
Am Beginn meiner Übung habe ich von vielen Erleuchteten gehört, Buddha sowieso, der Dalai Lama natürlich auch, alle Lamas oder zumindest viele, aber danach wurde die Suppe dünn. In der näheren oder weiteren Umgebung war weit und breit kein Erleuchteter zu finden und es konnte mir auch niemand sagen, was das ist.
Schlägt man im neuen Brockhaus, also in Wikipedia, nach, findet man folgende Definition: „Erleuchtung bezeichnet eine religiös-spirituelle Erfahrung, bei der jemand den Eindruck erhält, sein Alltagsbewusstsein sei überschritten worden und er habe eine besondere, dauerhafte Einsicht in eine gesamtheitliche Wirklichkeit erlangt. In manchen Fällen wird Erleuchtung als spontan eingetretener Durchbruch oder als aus eigener Kraft erlangtes Endergebnis eines Prozesses geistiger Übung und Entwicklung aufgefasst, nach anderen Interpretationen ist sie göttlicher Gnade zu verdanken. In den europäischen Traditionen wird Erleuchtung oft zu den mystischen Erfahrungen gezählt.“ 
Das finde ich alles wenig hilfreich. Mit Gott und seiner Gnade tue ich mich ohnehin schwer. Welcher Gott sollte mir gnädig sein? Mystische Erfahrungen und Erleuchtungserlebnisse hatte ich zuhauf, viele Menschen, die sich, so wie ich, einer jahrelangen meditativen Praxis unterziehen, kennen sie. Zeitweilig wurde ich von ihnen derart überschwemmt, dass ich in eine geistige – also spirituelle – Krise geriet. Erleuchtet war ich dadurch noch lange nicht.
Erleuchtungserlebnisse, in denen das ‚Alltagsbewusstsein überschritten wird‘, sind zwar eindrucksvoll und können den Menschen ändern, führen jedoch nicht notwendigerweise in ein erleuchtetes Leben. Die ‚Erleuchtung‘ selbst sollte man sich lieber abschminken, auf gar keinen Fall umhängen und als Orden vor sich hertragen.
Liest man die alten buddhistischen Schriften, wird man eher fündig. Ein Erleuchteter lebe in nur vier emotionalen Zuständen, den sogenannten ‚brahmaviharas‘, den ‚Göttlichen Verweilungszuständen‘, den ‚Unermesslichen‘. Er oder sie sei immer mitfühlend, mitfreudig, liebevoll und gleichmütig. Das macht die Sache etwas konkreter, wenn auch nicht leichter. Gelegentlich, na, das kann jeder, meistens wird schon deutlich schwieriger, aber immer?! Das ‚immer‘ scheint das Unermessliche daran zu sein, auf jeden Fall erscheint es wirklich schwer. Schon wenn meine Frau mich ärgert, falsch, wenn ich meine Frau zum Anlass nehme, um mich zu ärgern, gehen meine brahmaviharas den Bach hinunter. Dabei wurde ich mit wirklich bitteren Dingen, etwa der Diagnose Krebs, noch gar nicht konfrontiert. Natürlich kenne ich krebskranke Menschen, die Mitgefühl für sich selbst entwickeln und dabei gelassen bleiben, aber ich stelle es mir nicht leicht vor. Also gelegentlich erleuchtet sind wir nach dieser Definition wohl alle, aus dem Zustand aber nie herauszufallen, scheint fast unmöglich, eben unermesslich.

Die „Erleuchtung" selbst sollte man sich lieber abschminken, auf gar keinen Fall umhängen und als Orden vor sich hertragen.

Mir gefällt Erleuchtung als stufenweiser Weg. Man kann sich dem Ding ja annähern. Rechne ich die Zeit des Schlafens weg, bleiben 16 Stunden übrig. Da scheinen mir zwölf Stunden am Tag heiter und gelassen zu sein besser, als wenn ich das nur elf Stunden bin. Die meisten Menschen sind ja nicht einmal das. Schauen wir uns in der U-Bahn oder im Morgenstau um. Nur griesgrämige Gesichter. Also lasst es uns stufenweise versuchen. Eine Stunde länger am Tag in den brahmaviharas zu verweilen, also mitfühlend, heiter, liebevoll und gelassen zu sein, ist besser als eine Stunde weniger.
Seitdem Buddha seine Mitmenschen aufgefordert hat, es ihm nachzutun, sind viele Jahrhunderte vergangen. Schulen wurden gegründet, waren da und sind wieder vergangen. Einige bestehen noch. Lehrer sind gekommen, gute und schlechte, einige sind gescheitert, andere waren groß und weise.

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Nach 30 Jahren intensiver eigener Übung habe ich mich entschlossen, wieder eine Schule zu gründen, aber ich will in dieser weder Lehrer sein, noch die vielen anderen Fehler machen, die in so einer Schule gemacht werden können. Die Schule, die ich gegründet habe, gibt es daher nicht. Das hat viele Vorteile: Man kann in sie weder ein- noch austreten, es gibt kein Schulgeld, keine Zeugnisse und keinen Missbrauch. Und doch ist sie nicht nichts. Sie hat einen Rahmen, ist wie ein Gefäß, eine Art ‚open space‘, so wie manche Internetprogramme heute verwendet werden, jeder kann mitmachen, jeder kann in ihr lehren, sofern er oder sie etwas lehren kann, also etwas zu sagen hat. Es wird aber nicht überprüft. Das können die Menschen tun, die zuhören.

Nur wer nicht weiß, kann etwas herausfinden, der bereits Wissende wird nichts Neues finden.

Die Methoden sind die vom Buddha gegebenen, die Übung ist die vom Buddha gelehrte. Das Ziel ist dasselbe wie vor zweitausendfünfhundert Jahren: wieder ein Buddha werden – mitfühlend, heiter, liebevoll und gelassen sein.
Der Weg erfolgt stufenweise. Das hat Tradition. Tenga Rinpoche, mein allererster Lehrer, beschreibt in ‚Sutra und Tantra‘ unterschiedliche Klassen. In den unteren geht es darum, etwas Ordnung ins eigene Leben zu bringen, nur in der höchsten Klasse strebt man endgültige Befreiung an.
Das ist in meiner virtuellen Schule ebenso. Ich nenne sie W.I.S.D.O.M. Die Worte, deren Abkürzung das ist, habe ich erst danach dazu erfunden: Wiener Schule der offenen Meditation. ‚Offen‘ ist wichtig: keine Regeln, keine Dogmen, nur Freiheit.
Am Anfang versucht man, etwas Ruhe ins eigene Leben zu bringen. Die Methoden dafür sind die der buddhistischen Geistesschulung, Meditation und Achtsamkeit. ‚Achtsamkeit‘ überschwemmt uns derzeit geradezu. Matthias Horx, der Zukunftsforscher, beschreibt sie als den Megatrend der kommenden Jahre. Bei so einem Hype muss man aufpassen, das kann möglichem Missbrauch Tür und Tor öffnen.
Ist halbwegs Ruhe eingekehrt, kann man sich den nächsten Stufen widmen und versuchen, Klarheit in sich herzustellen. Das macht man mit einer wertfreien Untersuchung des eigenen Lebens, seiner Umgebung und der Tatsachen der Welt. Untersuchen tut man wie ein Wissenschaftler. Man bewertet und urteilt nicht und beginnt mit dem Nicht-Wissen. Nur wer nicht weiß, kann etwas herausfinden, der bereits Wissende wird nichts Neues finden.
Als nächster Schritt kommt die vom Buddha gelehrte Form der ‚Anstrengung‘, dem dritten Pfeiler des Geistestrainings. In ihr geht es um das ethische Bemühen, Unheilsames zu unterlassen und Heilsames zu entwickeln. Man lernt, die Kontrolle über das eigene Denken und die eigenen Gefühle zu erlangen. Bevor man das kann, ist man seinen Gedanken und Gefühlen ausgeliefert. Man ärgert sich ständig, obwohl man das gar nicht möchte und es einem auch nichts nützt. Man findet sich in ständig gleichen Handlungs- und Denkmustern. Man hat sich nicht unter Kontrolle und kann sich nicht selber führen. Erst wenn man das lernt, beginnt ein aktives Leben, in dem man nicht mehr nur reagiert, also in immer gleichen Lebensmustern gefangen ist, sondern jenseits davon frei agiert.
Eine derartige Übung hat weder mit Esoterik noch mit Religion zu tun.
Natürlich gibt es Buddhismus auch als Religion. Der Dalai Lama unterscheidet zwei Formen buddhistischer Übung – eine religiöse und eine nicht-religiöse. Die Inhalte der hier vorgestellten virtuellen Schule haben nichts mit Glauben zu tun. Aber vielleicht kommen auch diese beiden Wege dereinst im Nebel hinten wieder zusammen, wenn Glaube zur Gewissheit wird und die Mission endet.


Dieser Artikel erschien in der Ursache\Wirkung №. 96: „Buddha’s Way of Life"

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Ich selbst wollte immer auch ein wenig missionieren und Bedeutung wollte ich auch haben. Ich kenne also die Gefahren. Das ist der Grund, warum meine Schule keine Regeln und keine Hierarchie hat. Jeder ist frei, alles zu tun. Die Grenzlinien sind entlang der eigenen Verantwortung. Wer sich schon länger übt, wird verstehen, was ich meine.

Möge die Übung gelingen.

Peter Riedl ist Universitätsprofessor für Radiologie und seit über 30 Jahren Meditations- und Achtsamkeitslehrer. Er ist Gründer und war bis Juni 2019 Herausgeber der Ursache\Wirkung, hat W.I.S.D.O.M., die Wiener Schule der offenen Meditation und das spirituelle Wohnheim Mandalahof gegründet. Seine öffentlichen Arbeiten umfassen zahlreiche medizinische und buddhistische Artikel, Videos, Audios und Vorträge, sowie ‚Auf ins Nirvana!’, die Beschreibung eines buddhistischen Übungsweges für den Westen.


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Univ.-Prof. Dr. Peter Riedl

Univ.-Prof. Dr. Peter Riedl

Peter Riedl ist Universitätsprofessor für Radiologie und seit über 30 Jahren Meditations- und Achtsamkeitslehrer. Er ist Gründer und war bis Juni 2019 Herausgeber der Ursache\Wirkung, hat W.I.S.D.O.M., die Wiener Schule der offenen Meditation und das spirituelle Wohnheim Mandalahof gegründet. S...
Kommentare  
# Karim Mo 2017-11-29 14:37
Ich sehe so viel weisheit in dieser passage:
Ist halbwegs Ruhe eingekehrt, kann man sich den nächsten Stufen widmen und versuchen, Klarheit in sich herzustellen. Das macht man mit einer wertfreien Untersuchung des eigenen Lebens, seiner Umgebung und der Tatsachen der Welt. Untersuchen tut man wie ein Wissenschaftler. Man bewertet und urteilt nicht und beginnt mit dem Nicht-Wissen. Nur wer nicht weiß, kann etwas herausfinden, der bereits Wissende wird nichts Neues finden.
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