Ich entdecke mich immer wieder dabei, dass ich insgeheim auf etwas warte. Ganz leise flüstern winzige, freche Kobolde in mir: „Wenn es erst Weihnachten ist, dann...“ oder „Wenn ich dieses Projekt erst abgeschlossen habe, dann...“.
Scheinbar möchte ein Teil von mir auf schnellstem Wege dem Jetzt entfliehen.
Mir ist gar nicht klar, was sich in der erhofften Zukunft ändern soll, weil sich die Kobolde in undeutlichem Genuschel verlieren, wenn es darum geht, die Zukunftsversprechen genauer zu definieren. Sie gaukeln mir vor, dass es etwas Besseres gibt als den jetzigen Moment. Wenn ich ihr Treiben mit Wachheit verfolge, frage ich mich: „Nun sag’ mir mal, mein liebes Herz, was dich hindert, diesen Tag, diesen Moment als rund und in sich vollendet zu empfinden? Warum peilst du dauernd einen gar nicht vorhandenen Punkt in der Zukunft an?“
Mit diesen Fragen bin ich sogleich bei meinen alltäglichen Unzufriedenheiten angekommen, bei den Nagetieren, die am Fundament des Alltags knabbern und jeden Tag etwas Neues finden, das ihnen schmeckt. Ich kann sie nicht leiden. Ich will sie nicht haben. Mir scheinen sie so überflüssig und nebensächlich, dass ich sie wegwischen und sofort vergessen möchte. Doch mit diesem inneren Widerstand gebe ich ihnen ganz unbewusst weitere Nahrung, mit der sie sich genüsslich einnisten und vermehren. Sie formen kleine Übelkeiten am Morgen, Knoten in den Schultern, einen fest zusammengebissenen Kiefer, ein Kratzen im Hals. „Schenk’ uns doch mal Aufmerksamkeit!“, wispern die körperlichen Symptome. Wenn ich endlich bereit bin zum Innehalten, ertönen in der Meditation aus allen Ecken die Stimmen, die mir zurufen: „Hey Marie, mir geht dies gegen den Strich, mich drückt das auch noch, könntest du bitte mein Leiden spüren und ernst nehmen?“
Sich selbst Gehör zu schenken ist so elementar wichtig wie alltägliche Körperpflege. Es ist durchaus möglich, in der Meditation gekonnt um sein Innenleben herumzuschleichen und das Unangenehme, das Frustrierende nicht zu spüren. Es gibt ja so viel Ablenkendes im Innenraum, das die Aufmerksamkeit fesseln kann. Deshalb sind die Fußangeln, die der Alltag aufstellt, so wichtig. Der Alltag zeigt mir, was in der Meditation benannt werden möchte. Was stößt mir diese Woche ganz besonders auf, worüber stolpere ich schon fast gewohnheitsmäßig? Wer geht häufig über meine Grenzen? Was vergesse ich wiederholt? Was überhöre ich? Im Alltag gilt die gleiche Regel wie in der Meditation: Was nach Aufmerksamkeit verlangt und tiefer verstanden werden möchte, das zeigt sich wie ein Ohrwurm, wie ein Sprung in der CD, immer wiederkehrend, bis wir eine Ebene tiefer tauchen und bereit sind zu verstehen.
„Und da weißt du auf einmal: das war es“, schreibt Rilke in der letzten Strophe seines oben zitierten Gedichts. Wenn wir uns Zeit nehmen, tiefer in uns hineinzulauschen, dann gelingt es, in dem Hoffen auf Zukunft die Widrigkeit des Alltags zu enträtseln, die häufig infiziert ist von Vergangenem. „Du erhebst dich, und vor dir steht / eines vergangenen Jahres / Angst und Gestalt und Gebet.“ Im Warten und Lauschen zeigt sich dann, dass es Heilung und Frieden nur im konsequent gelebten Jetzt gibt.
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