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Achtsamkeit & Meditation

„Warum verwenden Sie nicht westliche Kräuter für die Chinesische Medizin?" Diese Frage wird immer wieder in der Praxis oder bei Lesungen an mich herangetragen.

Es ist eine gute Frage! Vielleicht zunächst einmal zu dem Begriff ‚Kräuter‘. Als die USA sich in den 70er Jahren daranmachten, chinesische Arzneidrogen in größerem Stil aus China zu importieren, war der Name für ein Arzneimittel ‚drug‘ (zu Deutsch: Droge) nicht hilfreich, da die exekutierenden Behörden vermehrt ein Auge auf die ‚neue Drogenwelle‘ zu werfen begannen. So wurde der verharmlosende Begriff ‚herb‘, ‚Pflänzchen‘, ‚Kräuter(chen)‘, bemüht und bei uns übernommen. Ich sage immer: Der Begriff ‚Kraut‘ ist eine Schutzbehauptung; hinter ihm verbirgt sich chinesisch alles, was nur irgendwie hilfreich sein kann, um den Gesundheitszustand des Patienten und den ökonomischen Zustand des Zulieferers zu verbessern. Das kann durchaus eine Pflanze oder irgendein Teil von ihr sein, aber auch etwas Tierisches oder Mineralien, ein Obst oder ein Gemüse oder ein Teil davon, wie zum Beispiel die bekannten Mandarinenschalen. Denken Sie sich zurück in ein chinesisches Dorf vor – sagen wir – dreitausend Jahren. Der Medizinmann, der Schamane, der schon damals die gesundheitlichen Interessen seiner Dorfmitbewohner ebenso zu vertreten hatte wie seine eigenen ökonomischen Interessen (keine Heilung – keine Kunden – keine Bezahlung – kein Essen ...), wandte als ‚Medikamente‘ alles an, was er in seiner Umgebung finden konnte und was nur irgendwie eine Besserung eines Krankheitsbildes herbeiführen konnte. Und wenn dann etwas tatsächlich gewirkt hatte, konnte der Schamane sich nicht nur der Dankbarkeit der Geheilten sicher sein und damit aufgrund der Bezahlung gut leben, sondern dieses Wissen aufschreiben und an seine Nachfolger weitergeben. Medizin ist und war immer in der Menschheitsgeschichte, egal, in welcher Kultur, ein Prozess von ‚Trial and Error‘, ausprobieren und schauen, was passiert. Und wenn man das, was passiert ist, überlebt hat, hat man das Wissen weitergegeben. Ein einfaches Beispiel dafür aus unseren Breiten: Sie gehen im Wald spazieren und finden Heidelbeeren. Und da Sie gerade hungrig sind, machen Sie es, wie Menschen es immer gemacht haben: Sie verwenden Pflanzen als Nahrungsmittel. Nun wissen Sie aus Dokumentation und Erfahrung, dass Heidelbeeren für diesen Zweck geeignet sind, und erfreuen sich an deren süß-säuerlichem Geschmack. Das Gleiche können Sie auch mit der Tollkirsche machen: auch eine kleine, süß schmeckende Frucht. Aber bei der Tollkirsche können Sie das als normierter Erwachsener von 75 Kilogramm nur 20 Mal machen: Dann ist die letale Dosis erreicht und Sie können nur hoffen, dass Sie die Tollkirsche direkt neben einem Spital verzehrt haben (was rein logistisch eher unwahrscheinlich ist ...). Um den heilbringenden Effekt einer anderen Pflanze zu erleben, nämlich des Johanniskrauts, bedarf es schon mehr als einfach nur Hunger, wenn man in den Wald geht. Bei richtiger Zubereitung und konsequenter Einnahme in der richtigen Dosis entfalten die sonnengelben Blüten ein sonnengelbes Gemüt. Zurück zu den chinesischen ‚herbs‘, ‚Pflänzchen‘. Heute verwenden wir unter diesem Begriff tatsächlich in der Hauptsache Pflanzliches, dann noch ein bisschen Mineralisches und ganz wenig und selten Tierisches, und das nur, wenn ‚der Zweck die Mittel heiligt‘. Zum Beispiel steckt bei schweren Erkrankungen wie Karzinomen eine sogenannte Blutstagnation (‚Steckenbleiben von Blut‘, wobei ‚Blut‘ nicht einfach nur ‚Blut‘ ist, wie Sie nach dem Verfolgen dieser Kolumne bereits erahnen können) im Körper, und die dokumentierte Erfahrung der Chinesen verwendet dann zum Beispiel bestimmte Insekten(-teile), die in diese Blockade kriechen (sollen) und diese auflösen: „Der Zweck heiligt die Mittel.“ Aber natürlich kann auch in solchen Fällen die chinesische Mischung rein pflanzlich bleiben, wenn Sie diese Entscheidung treffen (wir als Ärzte ‚dienen‘ Ihren Interessen, Ihrer Gesundheit und werden nichts machen, was Unbehagen bei Ihnen auslöst – so die oberste Maxime in der Chinesischen Medizin).

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Pflanzen haben wir hier im Westen natürlich genauso. Also warum nicht gleich unsere verwenden? Wir ersparen uns dadurch Aufwand und Geld, ersparen uns all die Prüfungen der Pflanzen, die wir durchführen müssen, um sicherzugehen, dass die chinesischen Pflanzen keine Insektizide, keine Schwermetalle und keine Radioaktivität enthalten. Auch spielen wir dadurch das große chinesische Spiel des Kapitalismus (dem Westen abgeschaut ...), noch größer zu werden als Wirtschaftsmacht und auch noch den gesundheitlichen Bereich an sich zu reißen, nicht mit. Wir haben tatsächlich eine ‚Traditionelle Westliche Medizin‘ (als Gegenpart zur ‚Traditionellen Chinesischen Medizin‘), die auch in der Ausbildung zunehmend reanimiert wird. Leider fehlt uns sehr viel des Wissens über unsere Kräuterkunde der letzten zweitausend Jahre, da die römisch-katholische Kirche es vorgezogen hat, ‚heilende Menschen‘ des Volkes (und das waren vor allem Frauen, die ja zwangsläufig aufgrund fehlender Alternativen ihre Familie am Leben erhalten mussten, genauso wie der Schamane im chinesischen Dorf vor dreitausend Jahren, und alles verwendeten, was sie finden konnten, um Krankheit und Tod abzuwehren) und deren Wissen zu verbrennen. So steckt die westliche Pflanzenkunde noch in den Kinderschuhen. Um dieses fehlende Erfahrungswissen auszugleichen, greifen wir heute im Westen auf unsere analytisch-wissenschaftlichen Methoden zurück, um die Wirkung von Pflanzen auf den menschlichen Organismus zu verstehen und zu nutzen. Dieser Zweig der westlichen Schulmedizin nennt sich Phytotherapie. Dabei verwendet man Phytopharmaka (griechisch phyton ist die Pflanze und pharmakon das Gift, das Arzneimittel), um Krankheiten mit Hilfe von Pflanzen zu behandeln. DER GROSSE UNTERSCHIED zwischen China und dem Westen liegt in der Anwendung: In China verschreibt man Kräuter nach der zugrundeliegenden Diagnose, die man aus Puls und Zunge und der Anamnese (dem Befragen) erhält. Diese Diagnose spiegelt ein Verständnis der Zusammenhänge im Körper entsprechend dem chinesischen Denken wider. Im Westen verschreibt man Kräuter entsprechend dem Symptom, und dabei muss ich die Ursache der Störung gar nicht verstanden haben. Ein Beispiel: Jemand hat Husten. Westlich gebe ich ihm Salbeitee zum Trinken und Inhalieren, und der Husten wird besser. Doch einen Monat später hat der gleiche Patient wieder Husten und ich behandle ihn wieder erfolgreich mit westlichen Kräutern. Und einen Monat später hat er ihn wieder ... Chinesisch sehe ich mir Puls und Zunge des hustenden Patienten an und entdecke zum Beispiel, dass der Husten (wir nennen das ‚rebellierendes Lungen-Qi‘) gar nichts mit der Lunge zu tun hat, sondern eine Verdauungsstörung ist. Jetzt kann ich den Patienten zum Beispiel auch mit Thymian inhalieren lassen (gegen das Symptom und ich verwende gleich auch ein westliches Kraut), schreibe ihm aber auch chinesische Kräuter auf, um die jetzige Verdauungsstörung aufzulösen, und erzähle ihm, wie er sich fortan zu ernähren hat, und siehe da, nach einem Monat bekommt er keinen Husten mehr (und auch nicht im Monat danach)! Um dieses komplexe, über Jahrtausende gewachsene Wissen der Chinesen jetzt gleich effektiv anwenden zu können, brauche ich leider die Originalkräuter aus China, sonst ist es so, wie ich selbst koche – ich nehme ein Rezept, das mir gefällt, doch fehlen mir alle Zutaten. Also ersetze ich jede einzelne Zutat durch etwas anderes. Jetzt kann es sein, wenn ich ein sehr guter, kreativer Koch bin, dass das Gekochte hervorragend schmeckt, was aber eher unwahrscheinlich ist. Vor allem aber hat es mit dem ursprünglichen Rezept gar nichts mehr zu tun. Ich muss also NEUE Erfahrungen machen! Und daher muss ich auch all die Testungen auf Insektizide und Schwermetalle in Kauf nehmen und auch das Mitspielen mit dem ‚China-Kapitalismus‘. Da sich aber viele bei uns diesem Spiel entziehen möchten, gibt es Bemühungen, das traditionelle chinesische Wissen über die Medizin mit westlichen Kräutern auszuführen, was sicherlich funktionieren kann, aber viel Zeit und Erfahrung braucht. Bücher zu veröffentlichen, die einfach die Qualitäten der chinesischen Kräuter auf westliche Pflanzen aus einer logischen Überlegung heraus übertragen, ohne das Wissen (zum Beispiel) mindestens 30 Jahre lang in der Praxis erprobt zu haben (so lange muss ein pflanzliches Medikament bei uns angewendet werden, um als traditionelles pflanzliches Arzneimittel zugelassen zu werden), kann wohl kaum die Lösung sein. Es ist nur eine Frage der Zeit und der Erfahrung, bis wir bei vielen Beschwerden und Erkrankungen chinesisch denken und westlich therapieren können. Bis dahin gilt: Import.


Die westliche Phytotherapie leistet einen großartigen Beitrag in der Erforschung von Pflanzen. Durch chemische Analysen wissen wir bei fast allen Heilpflanzen mittlerweile, welche chemischen Verbindungen die heilbringende Wirkung verursachen. Der Riesenvorteil, wenn man mit Pflanzen als Medikament arbeitet, ist, dass sie eine große therapeutische Breite aufweisen und wenige unerwünschte Wirkungen zeigen. Eine Pflanze ist immer ein Gemisch aus vielen verschiedenen wirksamen Substanzen, die idealerweise alle in die gleiche Richtung wirken und so ganz sanft eine Wirkung erzielen. So sind die Inhaltsstoffe jeder für sich niedrig dosiert, so dass sich Leber und Niere im Körper sehr leicht tun, diese zu entgiften. Die große Herausforderung, wenn man mit Pflanzen als Medikamente arbeitet, ist, zu wissen, wie viel denn jetzt wirklich von den Inhaltsstoffen da drin ist. So wurden für alle Pflanzen klare Qualitätsnormen definiert und im geltenden Arzneibuch dokumentiert. Der Apotheker hat nun die Aufgabe, falls er eine Pflanze als Arzneimittel verkaufen möchte, die entsprechenden Prüfungen durchzuführen beziehungsweise die durchgeführten zu kontrollieren. Wenn Sie also den Salbei in der Apotheke kaufen, dann garantiert Ihnen der Apotheker die ‚Qualität nach Arzneimittelbuch‘.

Denken Sie daran, dass unsere Medizin im Westen ursprünglich auch eine reine Pflanzenmedizin war. Erst um 1800 schaffte die westliche naturwissenschaftliche Forschung eine Revolution: die Herstellung von Reinsubstanzen aus Pflanzen. So wurde Morphium 1805 erstmalig rein hergestellt (aus Mohn). Der große Vorteil von Reinsubstanzen ist, dass ich nun nur noch einen Wirkstoff habe und diesen ganz genau dosieren kann. Der Nachteil sind die unendlichen Nebenwirkungen, die dieser im Körper hervorruft und die Sie alle aus der Schulmedizin kennen. Oft wissen wir erst nach Jahren (das sind dann die retrospektiven Studien: man gibt ein Medikament und schaut, was passiert, dokumentiert gut und siehe da: es zeigen sich ganz andere Effekte durch die Monosubstanz, positive und negative ...), was wirklich alles unter dem Einfluss dieser unnatürlichen Reinsubstanz passiert. Und das ist auch das Stichwort: unnatürlich. Reinsubstanzen kommen so in der Natur nicht vor. Oft weiß der Körper nicht recht, was er nun damit zu tun hat, oder es läuten so viele Alarmglocken im Körper, dass dieser nicht mehr klar denken kann. Unter dem Einfluss der Reinsubstanzen verloren die Pflanzenmedikamente bei uns ihre Bedeutung. Erst seit den 1960er Jahren ist das bis dahin unerschütterliche Vertrauen in die Entwicklung der Schulmedizin durch tragische Medikamentennebenwirkungen gestört (Stichwort ‚Thalidomid‘, welches unter dem Handelsnamen Contergan als Schlafmittel verwendet wurde und schwere Missbildungen an Ungeborenen verursacht hat).


Dieser Artikel erschien in der Ursache\Wirkung №. 92: „Reiseführer Meditation"

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Wie immer liegt der goldene Weg in der Mitte! Durch die chemische Analyse vieler Heilpflanzen unserer Erde konnte die westliche Medizin durch viele wertvolle Medikamente bereichert werden, die als Monosubstanzen verabreicht aber oft den Nachteil der Nebenwirkungen und der Belastung von Leber und Niere nach sich ziehen. Daher haben Medikamente aus Pflanzen, Phytopharmaka, mit modernen naturwissenschaftlichen Verfahren in ihren Wirkstoffen standardisiert, eine Berechtigung in ihrer Anwendung (denken Sie an all die venenstärkenden Mittel, die ohne Pflanzen nicht denkbar wären), ebenso wie die Medizin verschiedener Kulturen, darunter die Traditionelle Chinesische Medizin oder die Tibetische Medizin oder Ayurveda, welche vorrangig das Ziel haben, eine Behandlung zu bieten, die so sanft wie möglich und so nebenwirkungsfrei wie möglich die Besserung einer Erkrankung herbeiführt. Westliche Kräuter? Sehr gerne dort, wo wir schon die entsprechende Erfahrung haben. Chinesische Kräuter? Dort, wo es (‚chinesisch‘) kompliziert wird oder wo die Wirkung einfach so großartig ist, dass wir auf sie nicht verzichten wollen. Und so haben Sie als Patient und wir als Ärzte die ‚Qual der Wahl‘. Aber es soll wohl nichts Schlimmeres passieren, als dass wir aus einer Fülle von Möglichkeiten wählen können, oder?

Ihr Kräuterdoktor Weidinger

Bilder © pixabay

 

Dr. Georg Weidinger

Dr. Georg Weidinger

Georg Weidinger geboren 1968 in Wien, studierte Medizin an der Universität Wien, Doktorat 1995, Traditionelle Chinesische Medizin und Akupunktur (unter anderem bei Dr. François Ramakers, Prof. Dr. med. et Mag. phil. Gertrude Kubiena, Dr. Gunter R. Neeb), Diplom 2003, klassisches Klavier und Kompos...
Kommentare  
# Marlene 2019-06-03 08:36
Ich finde ganz ehrlich: es spielt keine Rolle ob chinesische, deutsche, nigerianische, australische oder was auch immer Kräuter. Herkunft spielt keine Rolle, solange sie der Person die sie nehmen hilft :)
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