Der Besuch bei einem Atempädagogen ist doch interessanter, als ich dachte. Außerdem soll die Methode gegen Burn-out helfen. Also genau das Richtige für mich.
Heute bin ich Versuchskaninchen. Ich werde mich auf das Abenteuer ‚Atemtherapie’ einlassen, und zwar im Auftrag der Redaktion. Also mache ich mich auf den Weg. An der Tür begrüßt mich mein Atempädagoge, Norbert Faller. Er hat feine Gesichtszüge und ist um zwei Köpfe kleiner als ich. Mit sanfter Stimme geleitet er mich in den Behandlungsraum. Dort erwartet mich ein spartanisches Zimmer, in der Mitte steht ein Massagebett.
Ich soll also atmen. Aber atme ich nicht ohnehin den lieben langen Tag, um die 20.000 Mal, das wären dann fast acht Millionen Atemzüge pro Jahr. Was ich mit Gewissheit sagen kann, ist, dass ich atmen kann. Im Vorgespräch lerne ich dann doch einiges über das Atmen dazu. So erzählt der Atempädagoge: „Atmen ist eine unentwegte rhythmische Bewegung des Körpers. Kann der Atem frei fließen, bewegt sich nicht nur der Rumpf dreidimensional, sondern diese primäre Bewegung wird sich auch als Schwingungen in Armen, Beinen und Kopf fortsetzen.“ Eine solche natürliche Atembewegung wird im Laufe eines Lebens häufig, so der Atemspezialist, sowohl durch körperliche Verfestigungen als auch durch seelische Prozesse eingeschränkt.
Mich erinnert das stark an meine ersten Meditationsversuche, bei denen ich mich schon mehrmals in der einspitzigen Konzentration auf den Atem versucht habe. Es ist mir immer sehr schwergefallen – allzu schnell habe ich mich von meinen Gedanken treiben und meine Fantasie frei laufen lassen. Einspitzig war da leider gar nichts. Das Atmen wurde in den Hintergrund gedrängt und ich verlor mich in meiner langen To-do-Liste für die kommenden Tage.
Doch zurück zur Übung: Bisher dachte ich immer, es sei ganz einfach, richtig zu atmen. Ich hielt mich sogar noch bis kurz vor der Übung für eine Art Spezialisten darin. Gott sei Dank bekam ich am Beginn der Stunde genaue Instruktionen. Nach der kurzen Einführung in die Methode reden wir dann über meine Befindlichkeit. Innerlich bin ich gespannt, was mich erwartet, doch äußerlich versuche ich, mir nichts anmerken zu lassen. Fast wie bei einem Lifecoach fühle ich mich hier, ein nettes Gespräch über mich und mein Leben.
Seit fast 30 Jahren beschäftigt sich Norbert Faller mit Bewegung und Atempädagogik. Er ist nicht nur im Vorstand des Atemtherapieverbandes, sondern leitet auch den Lehrgang Atempädagogik an der Fachhochschule für Gesundheit. Dass er mehrere Jahre auf einer buddhistischen Universität in den USA studiert hat, merkt man sofort. Seine einfühlsame Art und die angenehme Stimme lassen den buddhistisch Geschulten, der in ihm steckt, schon erahnen.
Ich lege mich alsdann auf den Massagetisch und beginne – wie instruiert – einfach nur auf meinen Atem zu achten, ohne ihn bewusst zu steuern. Das verwundert mich, die meisten Methoden basieren auf einer bewussten Steuerung des Atmens und hier darf ich nichts steuern, nichts beeinflussen.
Plötzlich holt mich eine ruhige Stimme aus meinen Gedanken. Sie leitet mich an, den Atem auf gewisse Teile meines Körpers zu fokussieren. Ich folge der angenehmen Trance der Therapeutenstimme. Da von mir keine Antwort verlangt wird, beginne ich zu ruhen und gebe der Stimme immer mehr nach.
Immer wieder versuche ich, unwillentlich meinen Atem in eine Richtung zu pressen, ich schaffe jedoch immer wieder den Weg zurück und werde zu einem reinen Beobachter. Sanft und doch bestimmt lenken die Hände des Therapeuten meinen Körper in bestimmte Bahnen. Unterstützend heben sie meinen Brustkorb an, wenn ich einatme, und gehen in der Ausatmungsbewegung natürlich mit. Langsamer und tiefer werden meine Atemzüge. Es fühlt sich an, als ob ich auf einmal mehr Sauerstoff zur Verfügung hätte. Ich merke, wie sich mein Brustkorb immer höher hebt und ich langsam beginne, sein volles Volumen zu nutzen.
Am Ende der einstündigen Einheit tauche ich wie aus einem Jungbrunnen auf.
Ich fühle mich wie ein mächtiger Hüne mit neuem Körperumfang. Ich halte mich für breiter, kräftiger und größer, selbst mein Ego saugt sich mit dem frischen Sauerstoff an und macht sich größer. Gleichzeitig übermannt mich eine innere Ruhe und Klarheit, ähnlich wie bei einer angeleiteten Meditation.
Im akademischen Duktus werden die Übungen folgendermaßen technisch beschrieben: „In der Atempädagogik wird in zwei Settings gearbeitet, einem Behandlungs- und einem Übungssetting. Im Übungssetting wird sitzend auf einem Hocker, stehend oder in der Fortbewegung gearbeitet. Der Atem wird über Achtsamkeit, Berührung, Bewegungsangebote und den Einsatz von Stimme angesprochen. Im Behandlungssetting liegt der/die KlientIn bekleidet in Rücken- oder Bauchlage auf einer Behandlungsliege. Der/die AtempädagogIn nimmt mit Hilfe der Hände Kontakt mit dem Atemgeschehen auf und bietet unterschiedliche Interventionen an. Dazu zählen Halt geben, Dehnungen und Druck, feine Schüttelungen sowie passives Bewegen von Gelenken und ganzen Körperbereichen. Der/die KlientIn begleitet diesen Prozess in Achtsamkeit, wodurch er/sie bewusst Reaktionen und Wirkungen ganzheitlich wahrnehmen kann.“
Am Ende der einstündigen Einheit tauche ich wie aus einem Jungbrunnen auf. Ausgeglichen und ruhig, gestärkt und frisch bin ich. Wie besoffen von dem vielen süßen Sauerstoff fühle ich mich. Beinahe Ertrunkene berichten oft von der Glückseligkeit des ersten Atemzuges. Zum ersten Mal spüren sie die Kraft des Sauerstoffes und können ihn sogar ‚schmecken’. Beseelt von der neuen Luftzufuhr torkle ich glücklich nach Hause und überlege, wann ich noch einmal so eine Stunde erleben kann.
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Bild Atemtherapie © Verena Pichler