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Achtsamkeit & Meditation

In der islamischen Mystik, dem Sufismus, arabisch Tasawwuf genannt, gibt es zahlreiche und unterschiedliche spirituelle Übungen, die die Suchenden zur Meditation in Gott führen können.

Das zunehmende Loslassen des Verhaftetseins an individuelle Eigenschaften und das Sterben des tyrannischen Egos kann die Auflösung in das göttliche Prinzip bewirken.
Allerdings würde von dem Übenden gar nicht so gern das Wort Meditation verwendet werden, sondern stattdessen das Wort Erinnern oder Gedenken. Sich Gottes, sich unseres göttlichen Wesens erinnern, dessen zu gedenken (Koran Sure 3/191). Das arabische Wort dafür ist Dhikr.
Welche Bilder könnten als Assoziation mit islamischem mystischem Gottesgedenken auftauchen? Wohl Bilder von sich im Gebet niederwerfenden Muslimen. Dies scheint Andersgläubige irgendwie zu berühren, zu faszinieren, manche vielleicht auch abzuschrecken. Jedenfalls bewirkt es das Wachrufen eines Gefühls und wird begeistert, oft auch völlig unpassend, als Stilmittel in diversen Hollywood-Produktionen zum Einsatz gebracht. Türkeireisenden und vielleicht auch manch anderen werden noch die sich drehenden Derwische aus Konya als mystische Meditationsform geläufig sein. Diese hat sich in Wien im Zuge des Einflusses durch die Türkenbelagerungen als Wiener Walzer ‚eingewienert’.
Wenden wir uns zunächst dem rituellen Gebet zu, dem eine rituelle Waschung vorausgeht, die Körper und Geist erfrischt und für das Gebet reinigt, das fünfmal täglich praktiziert werden sollte. Dieses spielt sowohl in der Religion als auch in der mystischen Ausübung eine große Rolle. Wird das Gebet als Pflicht, vielleicht aus Gewohnheit, aus Erziehung, aus Angst vor dem, was passiert, wenn ich diese Pflicht nicht erfülle, verrichtet, hat es natürlich wenig bis gar nichts mit Gottesgedenken zu tun und wird so zur Hülle ohne Inhalt. Erkennt der Betende die Chance dieser fünfmaligen Unterbrechungen des Alltags mit all seinen Illusionen, so wird der Mensch im Gebet die Möglichkeit haben, sich zu sammeln, sich wieder an Gott und den eigenen göttlichen Anteil zu erinnern.
Eine weitere Form der meditativen Übung ist das Hören, Lesen und Rezitieren des Heiligen Koran. Die Interpretation der Verse klafft jedoch in der Orthodoxie und der Mystik oft weit auseinander. Für den großen Mystiker und Theologen Rumi, Begründer des Ordens der drehenden Derwische, ist der Koran – wie bereits in Sure 3/7 geschrieben – auf mindestens sieben Ebenen zu verstehen. Die Suren können die Suchenden auf sich wirken lassen, kontemplativ erfahren oder das Göttliche mit Hilfe zahlreicher sufischer Techniken ‚schmecken’. Ziel ist es, Gott so nahe wie möglich zu kommen, dabei eigene Wünsche zurückzulassen, den ‚Spiegel des Herzens zu polieren’ und die Wahrheit schon in diesem Leben zu erfahren und nicht erst im Jenseits.
Sufismus kommt entweder vom Wort Suf und bezieht sich in der äußeren Bedeutung auf das wollene Gewand, das die frühen Sufis trugen, aber vor allem auf das Ziel des Dhikr, nämlich wie Wolle im göttlichen Wollen zu sein, zu fliegen und letztendlich im Leben danach zu handeln, im Hier und im Jetzt. Oder vom Wort Safa, rein sein. Rein meint in diesem Zusammenhang, gereinigt sein von Egoismus, Dogmatismus, Fanatismus, Unwissenheit und Aberglauben sowie frei von Beschränkungen durch die soziale Schicht, politische Überzeugung und Herkunft zu sein.

Tasawwuf
Wie Rumi erkannte:
Ich bin nicht Christ, nicht Jude und nicht Moslem, nicht Hindu, Buddhist, Sufi oder Anhänger des Zen. Ich folge keiner Religion, keiner Kultur, ich bin weder vom Osten noch vom Westen, mein Ort ist ortlos, Spur des Spurlosen.
Es gibt den stillen Dhikr, das Erinnern an Gott, den jeder Mensch für sich allein, jeden Tag oder nach Möglichkeit und Wollen praktizieren kann. Hier werden als Mantras gern die 99 göttlichen Eigenschaftsnamen verwendet wie ar-Rahman (der Gnädige), ar-Rahim (der Barmherzige), as-Sabur (der Geduldige), ar-Ragib (der Wachsame) oder der Name Allah. Es werden auch Mantras wie Astaghfirullah Al Azim bis zu 1000-mal und mehr rezitiert, was so viel bedeutet wie ‚ich bitte Gott um Vergebung’. Die innere Bedeutung dieser Formel ist, sich dem Göttlichen immer wieder zuzuwenden, sich selbst zu vergeben mit Hilfe von Gott, auch wenn man sich durch sein Handeln von der Göttlichkeit weit entfernt hat.
Der Schüler wird oftmals von einem spirituellen Lehrer oder einer spirituellen Lehrerin angeleitet. Mit welchen Mantras und in welchem zeitlichen Ausmaß sich ein Schüler ‚im Gottesgedenken’ übt, ist von Orden zu Orden unterschiedlich: Manchmal verbringt der Übende eine 40-tägige Fastenzeit allein in einem kleinen Raum – im Gebet und im Dhikr – mit Wasser und einer bestimmten Menge an Datteln pro Tag. Auch ein dreijähriges Fasten wie es sonst nur während des Fastenmonats Ramadan gehalten wird, wird manchmal praktiziert. Zusammenkünfte des gesamten Ordens finden meist wöchentlich statt, bei denen bis zu Hunderte Schülerinnen und Schüler gemeinsam in einem bestimmten Kanon Mantras laut rezitieren und singen und im Atem auflösen. All dies kann mit Bewegungen, einem Sichwiegen, Hochspringen ähnlich der Sprungtechnik der Massai und mit Drehungen verbunden sein. Dies kann auch von Musik begleitet werden. Es sind Symbole für den Tanz der Gestirne, den Tanz jedes einzelnen Atoms zur Ehre des Göttlichen, dem alles innewohnt. Das gemeinschaftliche Erleben kann dazu beitragen, eine Erfahrung im Sinne des ‚Wahdad al-Wujud’, der Einheit allen Seins, zu schmecken.
All diese Techniken helfen, den Kontakt mit unserem göttlichen Selbst herzustellen. Die Sufis meinen, dass der Liebende oder die Liebende im göttlichen Geliebten in der Einheit von al-Ishq, der göttlichen Liebe, aufgeht, so wie der Falter, der sich in die Flamme wirft. Doch es gibt keine Garantie, dies wirklich zu erleben. Sollte aber ein Übender in den ‚gottestrunkenen Zustand’, den ‚Fana’ gelangen, so ist dieser dennoch nicht das Ziel. Vielmehr geht es um die im Dhikr gewonnene Erkenntnis, die dich in all deinen Zellen verändern kann, dich in das tägliche Leben zurückkehren lässt, in die Zeugenschaft des Göttlichen, den ‚Baqa’, damit du in Demut leben und so dem Leben und den Menschen dienen kannst – und zwar entsprechend dem Platz, an den du gestellt bist.
Die islamische Mystik hat für die Sufis ihren Ursprung beim Propheten Muhammed. Man glaubt, dass esoterisches Wissen, das auch heute noch teilweise als geheim angesehen wird, vom Propheten Muhammed an engste Vertraute übermittelt wurde. Bis heute wird das Wissen des Propheten Muhammed um die Einheit des Seins, um die Erkenntnis und um die Liebe von Meister zu Meister weitergegeben.


Dieser Artikel erschien in der Ursache\Wirkung №. 86: „Handbuch Meditation"

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Kommentare  
# Susanna Payer 2019-04-24 09:40
Sehr interessanter Artikel!
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