Der Neurowissenschaftler Tim Gard erklärt, welche Regionen im Gehirn durch Meditation aktiviert werden und wie wir uns unserer Gedanken bewusstwerden können.
Wie ist der aktuelle Stand der Forschung in Bezug auf Meditation, Gehirn und Neurowissenschaft?
Vor kurzem erst wurde eine Studie über die neuronalen Mechanismen der Meditation in einem sehr anerkannten Wissenschaftsmagazin publiziert. In der Metaanalyse wurden mehrere Studien zusammengefasst und unterschiedliche Meditationsformen beleuchtet. Die beiden bislang meistuntersuchten Meditationsformen, die ‚fokussierte Aufmerksamkeitsmeditation‘ und die ‚offene Gewahrseinsmeditation‘, zeigten neben reichlich Unterschieden auch viele Übereinstimmungen.
Welche Unterschiede wurden festgestellt?
Bei der ‚offenen Gewahrseinsmeditation‘, nicht aber in der ‚fokussierten Aufmerksamkeitsmeditation‘, zeigte sich eine Aktivierung im rostralen lateralen präfrontalen Cortex. Diese Region wird mit dem sogenannten metakognitiven Gewahrsein, dem expliziten zur Kenntnisnehmen der gegenwärtigen Inhalte des Bewusstseins, in Verbindung gesetzt; genau das wird während der ‚offenen Gewahrseinsmeditation‘ geübt. Des Weiteren wurde während der ‚offenen Gewahrseinsmeditation‘ eine verringerte Aktivität im medialen präfrontalen Cortex festgestellt. Dieser ist Teil des sogenannten ‚Ruhezustandsnetzwerks‘ und spielt eine Rolle beim Tagträumen und wenn unsere Gedanken umherschweifen. Eine andere wichtige Region des ‚Ruhezustandsnetzwerks‘, die ebenfalls für die Tagträume und das Gedankenkreisen zuständig ist, ist der posteriore cinguläre Cortex. In dieser Hirnregion wurde bei beiden Meditationsformen eine Deaktivierung festgestellt. Dies ist nicht erstaunlich, da in beiden Methoden das Umherschweifen der Gedanken reduziert wird.
Und welche Übereinstimmungen wurden bei den beiden Meditationsformen gefunden?
Bei beiden Methoden wurde in zwei Gehirnbereichen, dem anterioren cingulären Cortex und dem lateralen präfrontalen Cortex, eine signifikante Aktivierung gefunden. Diese beiden Bereiche sind für die kognitive Kontrolle zuständig. Des Weiteren wurde bei beiden Meditationsformen eine Aktivierung der Insula festgestellt, diese spielt eine wichtige Rolle beim Körpergewahrsein. Die Aktivierung der Insula während der ‚offenen Gewahrseinsmeditation‘ wird damit in Verbindung gebracht, dass bei dieser Meditation oft körperliche Empfindungen, wie zum Beispiel Kälte, Wärme, Entspannung und Verkrampfung, beobachtet werden. Bei der ‚fokussierten Aufmerksamkeitsmeditation‘ wird die Aufmerksamkeit oft auf körperliche Empfindungen gelenkt. Wenn wir etwa die Aufmerksamkeit auf den Atem lenken, darauf, wie die Luft in die Nase strömt oder wie sich die Bauchwand hebt, dann sind körperliche Empfindungen im Fokus, und diese stehen mit der Insula in Zusammenhang.
Zeigen die Studien auch, welche Meditationsform mehr Vorteile bringt?
Die Studien zeigen die neuronalen Mechanismen der verschiedenen Meditationsarten – man kann da nicht von besser oder schlechter sprechen. In der Praxis ist eine ‚offene Gewahrseinsmeditation‘ anfangs schwer und daher wird oftmals zuerst die ‚fokussierte Aufmerksamkeitsmeditation‘ geübt. Wissenschaftlich betrachtet ist es aber sehr interessant, dass trotz konzeptionell unterschiedlicher Methoden teils die gleichen Gehirnregionen eine wichtige Rolle spielen. Ich finde es wichtig, die neuronalen Mechanismen zu verstehen: Wie beeinflusst Meditation zum Beispiel das Erleben von Schmerz, Depression oder Alterung? Ich persönlich finde es einfach sehr spannend, dass die Auswirkungen von Meditation im Gehirn ganz andere sind als bei herkömmlichen Interventionen.
Welche Unterschiede zeigen sich bei der Meditation im Vergleich zu den sonst üblichen Behandlungsformen?
In einer neurowissenschaftlichen Studie haben wir zum Beispiel untersucht, wie gesunde Langzeitmeditierende im Vergleich zu Nichtmeditierenden Schmerz wahrnehmen und was dabei im Gehirn passiert. Während der Meditation empfanden die Langzeitmeditierenden die Schmerzen nicht weniger stark, aber weniger unangenehm. Bei der Meditation geht es nicht darum, den Schmerz zu unterdrücken, sondern hinzuschauen und die Empfindungen objektiv zu beobachten. Im Gehirn kam es während der achtsamen Schmerzverarbeitung zu einer geringeren Aktivierung im lateralen präfrontalen Cortex und zu einer höheren in der hinteren Insula. Die Insula hat unter anderem mit den sensorischen Aspekten der Schmerzverarbeitung zu tun. Dieses Aktivierungsmuster steht im starken Gegensatz zu üblicheren mentalen Strategien, um das Schmerzempfinden zu beeinflussen. Bei der Schmerzlinderung durch Placebo, wenn eine Person eine wirkungslose Tablette bekommen hat, aber glaubt, sie habe ein effektives Schmerzmedikament bekommen, sehen wir ein genau umgekehrtes Aktivierungsmuster. Es kommt zu einer erhöhten Aktivierung im lateralen präfrontalen Cortex und einer reduzierten Aktivität in der Insula. Studien mit Kurzzeitmeditierenden zeigen ähnliche Aktivierungsmuster und im Gegensatz zu Langzeitmeditierenden nehmen sie während der Meditation Schmerzreize nicht nur als weniger unangenehm, sondern auch als weniger stark wahr.
Dieser Artikel erschien in der Ursache\Wirkung №. 97: „Meditieren, aber richtig"
Dann macht es also einen großen Unterschied, wie lange jemand schon meditiert?
Ja, darauf deuten die Schmerzstudien hin. Allerdings wurden Langzeit- und Kurzzeitmeditierende, was Schmerzen betrifft, in keiner Studie direkt miteinander verglichen. Es gibt eine Studie, die zeigt, wie Emotionen reguliert werden. Dabei wurden die unterschiedlichen neuronalen Mechanismen bei Kurzzeit- und Langzeit-Zenmeditierenden direkt verglichen und Unterschiede bezüglich der Amygdala gefunden, die in eine ähnliche Richtung gehen wie bei den Schmerzstudien. Die Amygdala spielt eine wichtige Rolle bei der emotionalen Reaktivität, also wie stark wir auf emotionale Reize reagieren – und sie ist auch bei der Entstehung von Angst involviert. Beide Gruppen, die Langzeit- und die Kurzzeitmeditierenden, empfanden während der Meditation weniger starke Emotionen, wenn sie emotional aufwühlende Bilder betrachteten. Bei Kurzzeitmeditierenden zeigte sich das durch eine geringere Aktivität in der Amygdala. Im Gegensatz dazu war die Aktivität der Amygdala bei erfahrenen Meditierenden unverändert, was für eine akzeptierende Haltung spricht.
Wie sieht das bei Menschen aus, die gar nicht meditieren?
Bei ihnen sieht man eine Aktivierung der Amygdala, sobald sie emotionalen Reizen ausgesetzt sind. Wenn sie dann jedoch eine Emotionsregulationsstrategie, wie zum Beispiel die ‚Neubewertung‘ der Bilder, anwenden, wird die Amygdala wie bei den Kurzzeitmeditierenden herunterreguliert.
Matt Tenney, Tim Gard, The Mindfulness Edge: How to Rewire Your Brain for Leadership and Personal Excellence Without Adding to Your Schedule, Wiley 2016. Derzeit nur auf Englisch erhältlich.