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Achtsamkeit & Meditation

Der Traum vom schönen Körper – aber was ist ein schöner Körper? „Die meisten Jugendlichen sind unzufrieden mit ihrem Aussehen. Manchmal wird dies zu einer psychischen Krankheit, der Dysmorphophobie“, schreibt die Mitteldeutsche Zeitung.

Etwas weiter unten im gleichen Artikel wird eine Veränderung des Stoffwechsels im Gehirn als Ursache vermutet. Und wieder etwas weiter unten erfahren wir: „Ein Kinder- und Jugendarzt kann ihnen dabei helfen, geeignete Schritte zur Erkennung und Behandlung des Problems einzuleiten.“ Die Tatsache, dass die meisten Jugendlichen gern einen anderen Körper hätten, hat also nicht nur einen lateinischen Namen, sie ist auch heilbar. Aber warum wollen, sofern die Recherchen der Mitteldeutschen Zeitung stimmen, so viele Jugendliche einen anderen Körper? Natürlich können wir die Motive eines Jugendlichen – und schon gar nicht die der meisten – nicht erforschen und auch nicht erraten. Aber offensichtlich scheint doch zu sein: Um einen anderen Körper zu wollen, braucht es zumindest zwei Voraussetzungen: Erstens, es muss eine Differenz zwischen dem eigenen Körper und zwischen dem Körper, den man gerne hätte, wahrgenommen werden. Und da dieser Körper, den man gerne hätte, nicht der eigene ist, kann es sich nur um ein Bild handeln, das von irgendwoher kommen muss: vom Körper des Sitznachbarn in der Schule, vom Körper eines Popstars, vom Körper, den die Mama anhimmelt, oder vielleicht auch von dem, den die angehimmelte Person anhimmelt. Und zweitens: Der gewünschte Körper muss als begehrenswerter empfunden werden als der eigene. Und auch die Einschätzung, welche Art von Körper wie begehrenswert ist, muss von irgendwoher kommen. Und hier brauchen wir nicht besonders lange zu suchen, denn die uns umgebenden Medien präsentieren uns ununterbrochen Körper, zu denen sie uns erklären, dass sie begehrenswert seien. Wer all das glaubt, was ihm in den verschiedensten – überwiegend amerikanischen – Fernsehserien als begehrenswert vorgestellt wird, der muss wahrscheinlich ziemlich zwangsläufig ein Problem bekommen.

Der gewünschte Körper muss als begehrenswerter empfunden werden als der eigene.

Ich hatte vor vielen Jahren einmal einen Kollegen, der mir beim Bier anvertraute: „Ich stelle für Projektmitarbeiten grundsätzlich niemals schöne Frauen an.“ Ich war damals sehr entsetzt. Ein solch grobes Vorurteil hätte ich ihm, einem Soziologen und noch dazu einem, wie ich meinte, sehr intelligenten, niemals zugetraut. Auf meine Nachfrage begründete er dies: „Schöne Frauen sind es gewöhnt, dass ihnen auf ihre Schönheit hin alles zufliegt. Sie lernen nie, ordentlich zu arbeiten, weil sie es niemals nötig haben.“ Das ist lange her. Ich habe seither ein paar schöne Frauen kennengelernt, die dieses Vorurteil in eindrucksvoller Weise widerlegt haben, und gar nicht so wenige schöne Frauen, die es in sehr trauriger Weise bestätigt haben. Vor 40 Jahren hat der Soziologe Erving Goffman in seinem Buch ‚Stigma‘ beschrieben, wie es manchen Menschen gelingt, aus körperlichen und/oder geistigen Defiziten – beziehungsweise aus Eigenschaften, die nach weit verbreiteter Ansicht als Defizite betrachtet werden – Vorteile zu zimmern. Im Wesentlichen besteht die Technik darin, die Bewertung des eigenen Erscheinungsbildes umzudeuten und diese Umdeutung auch anderen plausibel zu machen. In mehreren nordamerikanischen Indianerstämmen galt geistige Behinderung als etwas besonders Schätzenswertes und Schützenswertes, denn wer unverständliches Zeug brabbelt, hat besonders engen Kontakt zu den Geistern und ist deshalb ein Vermittler zwischen der Welt der Materie und der Welt des Geistes.Die Märchen der Gebrüder Grimm sind voll von Motiven, in denen Personen, die besonders benachteiligt sind, ihre Nachteile zu Vorteilen machen. Das tapfere Schneiderlein ist weder stark, noch reich, noch mächtig. Aber mithilfe seiner Schlauheit und körperlichen Wendigkeit besiegt es die Riesen und erlangt schließlich die Königstochter. Ob es dann als Prinzgemahl einer reichen Königstochter ein wirklich so feines Leben hat, das erzählt die Geschichte dann freilich nicht mehr. Der kleine Däumling erlangt, weil er so klein ist, Zugang zu Bereichen, die Größeren verschlossen bleiben. Und sogar der Froschkönig setzt sich mit einiger Beharrlichkeit und gegen erbitterten Widerstand der Königstochter schließlich durch und wird erlöst. Das kann er aber nur, weil er es in seiner Identität als Frosch schafft, die goldene Kugel aus dem Brunnen zu holen. Ein ganz gewöhnlicher Prinz hätte das nie hingekriegt. Und die vielen kleinen, dummen, jüngsten Geschwister, die von den älteren Geschwistern verachtet werden und schließlich ihr Leben meistern, für gewöhnlich durch Einheirat in ein Königshaus, können wir hier gar nicht alle aufzählen. 

Körper

Wir sehen also: Mit seinem Körper, mit seiner ganzen Existenz, mit seinem Erscheinungsbild nicht zufrieden zu sein, hat eine sehr lange Tradition. Seinen Körper tatsächlich zu verändern, dürfte etwas neuer sein, es ist erst möglich geworden durch diätetische Erkenntnisse und technische Errungenschaften. Zwar haben auch schon Naturvölker durch Tätowierungen und Bemalungen ihren Körper verändert. Aber sich schlank zu hungern, erfordert schon einen ziemlich massiven Nahrungsüberschuss, denn ohne diesen wäre die Angst vor dem Verhungern viel zu groß. Und sich durch chirurgische Eingriffe verändern zu lassen, erfordert recht gut entwickelte chirurgische Techniken. Ob es freilich klug ist, mit seinem Körper alles das anzustellen, was man mit ihm anstellen kann? – Ich weiß es auch nicht. Vor ein paar Jahren hat ein Steirerbub Frauenkleider angezogen und angefangen, Lieder zu singen. Das wäre noch nichts Besonderes gewesen: An Buben in Frauenkleidern haben wir uns mittlerweile gewöhnt und Lieder singen ist in Österreich durchaus üblich, auch wenn man’s nicht kann: Sogar Politiker tun das bisweilen. Dieser Damenbub hat sich aber auch noch schwarze Bartstoppeln stehen lassen, und das geht gar nicht. Als Frau auftreten und gar keine sein, na gut. Das hat einen Namen – und auf Bühnen ist so was erlaubt. Aber als Frau auftreten und durch äußere Symbole auch noch sichtbar machen, dass man keine ist? Der Shitstorm war nicht enden wollend. Dann aber hat er den Song Contest gewonnen und damit die Conchita-Hasser gründlich verwirrt. Jetzt erlebt er eine Art Hassjubel, dürfte damit anscheinend recht souverän umgehen und ist Werbeträger für eine revolutionäre und gänzlich neue Idee geworden: Jemand, der anders ist als das, wie sein zu sollen uns allenthalben vorgemacht wird, muss nicht notwendigerweise aus der Gesellschaft entfernt werden, er muss nicht notwendigerweise als entweder krank oder kriminell definiert werden, sondern er kann auch einfach so bleiben, wie er ist, und den Rest der Welt in aller Ruhe weiter irritieren. Und die Irritierten müssen das einfach aushalten, ob sie wollen oder nicht. Irgendwie unangenehm, aber wenn ihm alle zujubeln, was soll man denn da machen? Da wird man ja womöglich noch, wenn man ihn beschimpft, selber zum Außenseiter – und von Rechts wegen sollte doch er das sein. 


Dieser Artikel erschien in der Ursache\Wirkung №. 93: „Durch den Körper zum Geist"

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Ob es freilich klug ist, mit seinem Körper alles das anzustellen, was man mit ihm anstellen kann?

Conchita hatte das Pech, einen ganz normalen, hübschen Knabenkörper zu haben, und gar keine erkennbare Behinderung. Seine Kunstfigur ist ein künstliches Stigma, aus dem er mit viel Schlauheit – vielleicht auch seines Managers, aber was macht das schon – einen sehr großen Erfolg gezimmert hat. Wir wissen nicht, ob der Herr Conchita gern einen anderen Körper hätte, so wie das die meisten Jugendlichen nach den Recherchen der Mitteldeutschen Zeitung gern hätten. Was mich betrifft, so hätte ich sehr gern einen anderen Körper: deutlich schöner, stärker, straffer. Aber mich deswegen in einem Fitness-Center quälen? Natürlich könnte ich mein Aussehen chirurgisch verändern lassen. Das würde zwar einige Zeit dauern und sehr viel Geld kosten, wäre aber immer noch schneller und billiger, als mithilfe eines Therapeuten oder gar durch irgendwelche spirituellen Übungen den Einklang zwischen meinem Äußeren und meinem Inneren herzustellen. Ich habe mich deshalb entschieden, nichts von alledem zu tun und weiter zu leiden. Das ist mit Abstand am billigsten.

Dr. Anselm Eder, geboren 1947 in Wien, hat bis 2012 als Universitätsprofessor am Institut für Soziologie mit Forschungsschwerpunkten unter anderem in den Bereichen ‚Medizinische Soziologie‘, ‚Körpersprache als Beobachtungsfeld‘ und ‚Simulation sozialer Interaktionen‘ gearbeitet. Seit 2012 macht er alles andere.

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Dr. Anselm Eder

Dr. Anselm Eder

Dr. Anselm Eder, geboren 1947 in Wien, hat bis 2012 als Universitätsprofessor am Institut für Soziologie mit Forschungsschwerpunkten unter anderem in den Bereichen ‚Medizinische Soziologie‘, ‚Körpersprache als Beobachtungsfeld‘ und ‚Simulation sozialer Interaktionen‘ gearbeitet. Seit ...
Kommentare  
# Herr Lerchner 2016-04-25 15:01
ICh habe schon einige Arbeiten von Herrn Eder gelesen und gestehe ich bin ein faszinierter Fan!
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