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Leben

Thich Nhat Hanh war einer der bedeutendsten buddhistischen Lehrer des 20. und 21. Jahrhunderts. Der Mönch aus Vietnam hat den Buddhismus aus den Klostermauern in den Alltag gebracht – sowohl im Westen wie auch in Vietnam.

Wer kann das Leben eines Lehrers beschreiben, dessen Werk und Wirken so viel größer ist als das, was ein Mensch in einer Lebenszeit wahrnehmen kann? Buddhas Lehre war für Thich Nhat Hanh mehr als Kontemplation, Einsicht, Verstehen. Das waren sie zwar auch, aber wie Thich Nhat Hanh Buddhismus verstand, zeigte sich zum Beispiel im Programm seiner letzten Lehrreise durch Nordamerika vor sieben Jahren. In Toronto hielt er ein Retreat vor 15.000 Lehrern. Am Broadway in New York eröffnete er die Ausstellung seiner Kalligrafien. An der Harvard Medical School an der Ostküste hielt er Vorträge genauso wie an der Stanford University im Westen. Er leitete Achtsamkeits-Workshops bei der Weltbank in Washington und bei Google im Silicon Valley.

Sein Leben war geprägt davon, draußen zu sein, am Puls der Zeit, bei den Menschen. Der Mönch aus Vietnam hat weltweit ein Netzwerk von 1.500 Achtsamkeitszentren in mehr als 40 Ländern aufgebaut, inklusive des größten buddhistischen Klosters im Westen. Er etablierte Sanghas, die Menschen mit nicht weißer Hautfarbe unterstützen. Er etablierte Gemeinschaften, die Wege aus der Klimakrise erkunden. In sogenannten Wake-up-Schulen werden Menschen zu Achtsamkeitslehrern ausgebildet. Ein Studiengang an der renommierten Columbia University ist nach ihm benannt.

Zu den größten Errungenschaften des Mönchs gehört wohl, Buddhas Lehre aus den Klostermauern dorthin getragen zu haben, wo sie gebraucht wird – in einer Form, die Anklang fand. Als buddhistischer Lehrer ließ sich Thich Nhat Hanh nicht in traditionelle Kategorien wie Zen, Mahayana oder Theravada stecken. Er ließ sich aber auch nicht auf die stereotype Figur des buddhistischen Gelehrten reduzieren. Zu seinem spirituellen Weg gehörte politischer, sozialer und ökologischer Aktivismus.

Sein politisches Engagement fußte auf der Überzeugung von Gewaltlosigkeit und dem Ideal, sich nicht auf eine Seite zu schlagen. Das blieb keine Floskel, sondern zeigte sich in seiner aktiven Arbeit während des Vietnamkriegs genauso wie bei einer geführten Gehmeditation am Ground Zero nach dem 11. September in New York. Sein „sozial engagierter Buddhismus“ transformierte die alten buddhistischen Zen-Lehren in einen modernen, umsetzbaren Weg. Die von ihm entwickelten Formen des Achtsamkeitstrainings zeigen auf der ganzen Welt auf, wie man Leiden überwinden und wahren Gleichmut finden kann.

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Geboren wurde er als Nguyen Dinh Lang am 11. Oktober 1926 in der alten Kaiserstadt Hue, in Zentralvietnam. Sein Vater war Beamter in der kaiserlichen Verwaltung, er wuchs mit seinen fünf Geschwistern in einem traditionellen Haus auf. Schon früh interessierte er sich für das Leben von Buddha. Er wusste bereits im Alter von neun Jahren, dass er Mönch werden will. Mit sechzehn zog er daher in den Tu-Hieu-Tempel in Hue und begann sein buddhistisches Studium im Zen. Das Leben im Tempel war nicht einfach, sein Meister folgte dem Zen-Prinzip „Ohne Arbeit kein Essen“. Außerhalb der Mauern regierten Hungersnot und Gewalt. Im Krieg zwischen Vietnamesen und Franzosen gerieten auch Mönche in die Schusslinien, immer wieder kam es zu Überfällen von französischen Soldaten.

Die Leiden des Kriegs stellten den jungen Mönch vor die Frage, was der Buddhismus in der Gesellschaft leisten kann und soll. Er setzte sich schon zu jener Zeit mit den Ideen eines sozial engagierten Buddhismus auseinander – was später zu seiner zentralen Botschaft wurde. Er publizierte dazu in Zeitschriften, beschäftigte sich mit Aristoteles, Hegel, Marx und Engels und machte sich einen Namen als Dichter, der die alten spröden buddhistischen Weisheiten in sprachlich ästhetisches, leicht verständliches Gewand brachte.

Der Abzug der Franzosen führte in den 1950er-Jahren zur Teilung seiner Heimat. Mehr als ein paar Monate des Friedens waren dem Land nicht vergönnt. Der junge Lehrer zog sich mit einigen Schülern aufs Land zurück, wo sie neue Formen der buddhistischen Praxis mit Sitz-, Tee- und Gehmeditation vertieften. Das Zentrum wurde so zu seiner Art Prototyp für die vielen Achtsamkeitszentren, die es Jahrzehnte später auf der ganzen Welt geben sollte.
1961 reiste der Mönch erstmals mit einem Fulbright-Stipendium in die USA, um dort an der Elite-Uni Princeton Vergleichende Religionswissenschaften zu studieren. In der Folge forschte er auch an der renommierten Columbia University. Zum ersten Mal habe er dort wirklich den Frieden gekostet, „glücklich im gegenwärtigen Augenblick zu weilen“, sagte Thich Nhat Hanh später über die Zeit.

Von den USA aus wurde er zu einer lauten Stimme der buddhistischen Bewegung in Vietnam. Erst nach dem Sturz von Ngo Dinh Diem, dem ersten Präsidenten der Republik Vietnam von 1955 bis 1963, ging er in seine Heimat zurück, um sich dort seiner sozialen Arbeit zu widmen. 1965 gründete er inmitten des tobenden Vietnamkriegs die „School of Youth for Social Service“, die in Dörfern Hilfe leistete. Das eigene Leiden wurde dabei zum größten Lehrer. Der sozial engagierte Buddhismus wurde aus der Notwendigkeit geboren, mit dem Leiden und der Gewalt um einen herum umzugehen. „Man sucht den Weg für seine Gehmeditation genau dort, wo Menschen vor den Bomben davonlaufen. Und man lernt, achtsames Atmen zu üben, während man sich um ein Kind kümmert, das durch Gewehrkugeln oder Bomben verwundet wurde“, sagte er.
Auch sein Orden „Intersein“ entstand in jener Zeit. Ihm zugrunde liegt das Streben, in einem Konflikt keine Partei zu ergreifen – buddhistisch ausgedrückt: nicht verhaftet zu sein. Er bringt seinen Schülern die buddhistische Lehre des abhängigen Entstehens näher, also der Einsicht darüber, dass alles miteinander vernetzt ist: Es gibt keine Mutter ohne Tochter, keinen Wald ohne Regen. „Sein ist Intersein. Man kann nicht allein aus sich selbst heraus sein, man muss mit allem anderen inter-sein“, steht in seinem Buch „The Other Shore“.

Als die Situation in Vietnam hoffnungslos schien, ging Thich Nhat Hanh 1966 noch einmal in die USA, um dort für den Frieden zu werben. Er traf mit diversen Friedensaktivisten und US-Politikern zusammen. Daraufhin wurde er in Vietnam als Verräter geächtet. Die kurze Reise wurde so zu einem Exil, das erst 39 Jahre später enden sollte. Eine nachhaltige Zusammenkunft war 1966 ein Treffen mit Martin Luther King, Ikone der Bürgerrechtsbewegung im Antirassismus-Kampf. Nach dessen Ermordung legte Thich Nhat Nanh das Gelübde ab, Kings Kampf weiterzuführen. Zeit seines Lebens setzte er sich für mehr Diversität in den westlichen Sanghas ein.

Für Thich Nhat Hanh war der Frieden in der Welt untrennbar mit dem persönlichen Frieden verbunden. Der Schlüssel zu diesem inneren Frieden liegt im Achtsamkeitstraining, das er bereits in Vietnam entwickelt hatte. Sein Buch „The Miracle of Mindfulness“ hatte er ursprünglich als Anleitung für seine Sozialarbeiter in Vietnam geschrieben. Im Westen wurde es ab 1975 zum Bestseller und ist heute in mehr als dreißig Sprachen übersetzt worden.

In Frankreich legte er schließlich Anfang der 1980er-Jahre den Samen für das, was heute eines der größten Meditationszentren Europas ist: Plum Village. Bei seinen Retreats und Unterweisungen betonte er, dass Meditation und Alltag nicht voneinander trennbar sind, genauso wie Achtsamkeit und Ethik nicht voneinander getrennt werden dürfen. „Dank dieser Praxis“, sagte er einmal, „war ich in der Lage, meine wahre Heimat im Hier und Jetzt zu finden.“

2005 durfte Thich Nhat Hanh zum ersten Mal nach fast vierzig Jahren seine Heimat Vietnam wieder besuchen und wurde von den Massen empfangen. Zurück im Westen, arbeitete er an seiner globalen Ethik der fünf Achtsamkeitsübungen und entwickelte sich zu einem gefragten Redner. Er sprach vor dem britischen, dem französischen und dem US-amerikanischen Parlament, traf den Papst und wurde von US-Präsident Barack Obama zitiert, als dieser 2012 Vietnam besuchte.

So wie sein Netzwerk im Westen wuchs auch das in Asien. Zu den Klostergemeinschaften in Amerika, Europa und Australien kamen nun einige in Thailand und Hongkong hinzu. 2018 kehrte Thich Nhat Hanh mit einer großen Gefolgschaft in seinen Tempel in Hue in Vietnam zurück. Vier Jahre zuvor hat er in Frankreich einen Schlaganfall erlitten, der ihm das Sprechen und Gehen fortan unmöglich machte. Seine letzten Monate verbrachte er im Kreis seiner Schüler und Anhänger in Hue, wo er am 22. Jänner friedlich im Alter von 95 Jahren verstarb.

Meister Thich Nhat Hanh hat zuerst den Buddhismus in Vietnam erneuert und ihn dann auf der ganzen Welt bekannt gemacht – in einer Form, die sehr viele Menschen berührte. Sein großes Netzwerk an Lehrern und Schülern, sowohl Laien als auch Ordinierte, zeugt davon, dass der Lehrer sich selbst überflügelt hat. Im Grunde wollte er den Menschen den Weg zum Frieden zeigen. Das Erste, was er im Westen gelernt habe, sei, dass, selbst wenn jemand viel Geld, Macht und Ruhm hat, er nicht vor tiefem Leid gefeit ist, sagte er in einem Interview 2003. Den Zuhörern im Silicon Valley auf seiner letzten Nordamerikareise vor sieben Jahren gab er mit auf den Weg: „Sie können ein Opfer Ihres Erfolgs sein, aber Sie können niemals ein Opfer Ihres Glücks sein.“ Es braucht immer Frieden und Mitgefühl. Und mit dem kommt man nur im „gegenwärtigen Augenblick“ in Berührung. Jetzt.

Die aufgezeichnete Zeremonie zum Tod von Thay:
 

Einen weiteren Artikel zu Thich Nhat Hanhs Leben und Lehre finden Sie hier.

Bilder © WikiCommons

Dr. Anna Sawerthal

Dr. Anna Sawerthal

Dr. Anna Sawerthal ist Tibetologin und Journalistin. Sie studierte in Wien, Nepal, Lasha und Heidelberg. Sie lebt in Wien.
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